#47 Warum nimmt man Drogen?

Zusammenfassung

Wieso nimmt man Drogen? Ich weiß schon, das wird wahrscheinlich eine beliebte Folge! Und das Ergebnis scheint sehr offensichtlich zu sein: Es macht eben Spaß. Aber es soll in dieser Folge nicht so sehr darum gehen als vielmehr darum, was Drogen mit einem machen. Manchmal nimmt man sie, um lockerer zu werden, lustiger, auf einer Party. Aber was ist, wenn man sich so sehr in seinem Wesen verändert, dass man sich noch nicht einmal mehr daran erinnern kann? Das kennen bestimmt Einige, dass man nach einem Abend nicht mehr weiß, was man davor eigentlich getan hat! Und dann wird einem von Sprüchen erzählt, die man geklopft haben soll, Sachen, die man gemacht haben soll, die gar nicht nach einem selbst klingen. Ist man dann überhaupt noch derselbe? Und wollen wir das überhaupt? Und was ist mit bewusstseinserweiternden Drogen, mit denen man Erfahrungen macht, die man in der Realität gar nicht machen kann? Ist das irgendwie verwertbar? Und warum wollen wir das?                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       


Hallo zusammen und herzlich willkommen zurück zu einer weiteren Folge von „Philosophie für zwischendurch“!

 

Einleitung

Ja, ich dachte mir mal, ich produziere in diesem Jahr etwas schneller – mal sehen, wie lange das geht. Heute geht es um Drogen, sicher ein beliebtes Thema! Drogen sind auf der Welt weit verbreitet, ob stärkere wie Heroin, schwächere wie Marihuana, gesellschaftlich akzeptierte wie Alkohol oder unauffällige wie Zucker und Koffein. Es gibt kaum jemanden, der nicht irgendetwas davon konsumiert – allein schon dadurch, dass in vielen Lebensmitteln heutzutage Zucker ist.

Aber wenn wir einmal von diesem unauffälligen Konsum absehen: Warum genau macht man das? Auf den ersten Blick scheint es offensichtlich zu sein: man will sich eben gut fühlen. Und das tut man in der Regel auch, dafür sorgen die chemischen Zusammensetzungen. Aber es gibt einen weiteren Effekt: Man verändert sich in seinem Wesen. Wenn man viel Alkohol trinkt, kann es passieren, dass man erst sehr locker wird und dann später vielleicht sogar sein Gedächtnis an den Abend verliert. Ist das auch ein gewünschter Nebeneffekt? Oder nur zu einem gewissen Punkt? Wieso nimmt man eigentlich Drogen?

 

Was ist eine Droge?

Zuerst müssen wir aber verstehen, wovon wir hier eigentlich reden, wenn wir über „Drogen“ sprechen. Was ist eine Droge überhaupt? Wir suchen hier natürlich nach keiner naturwissenschaftlichen Definition, das brauchen wir für die Folge auch nicht. Aber wieso bezeichne ich Alkohol als Droge, Äpfel aber nicht? Eine Droge ist, allgemein gesagt, ein Stoff, der dafür sorgt, dass Belohnungshormone ausgeschüttet werden. Das tuen natürlich auch viele andere Dinge, also grenzen wir es ein: Eine Droge sorgt dafür, dass Belohnungshormone in einer unverhältnismäßig höheren Menge in Relation zu der entsprechenden Aktivität ausgeschüttet werden, als diese natürlich hervorrufen würde. Also, ganz kurz gesagt: Eine Droge betrügt den Körper im Grunde und bringt ihn dazu, sich selbst viel stärker zu belohnen, als er es eigentlich tun würde. Klar fühlt man sich nach einem Apfel gut oder hat einen Adrenalinkick, nachdem man Fallschirm gesprungen ist. Aber dahinter stehen tatsächlich Handlungen und Effekte. Es ist aber nicht so gedacht, dass man sich fühlt, als wäre man um die Welt gerannt, wenn man einfach nur in seinem Zimmer sitzt und irgendetwas raucht.

 

Drogen für ein gutes Gefühl

Nun, machen wir uns nichts vor: Drogen werden vor allem genommen, damit man sich gut fühlt. Ob währenddessen oder nur danach: Das Höhegefühl, das man irgendwann verspürt, scheint es wert zu sein. Es kann bei einigen Drogen zwar sehr stark abfallen und sich sogar ins Gegenteil umkehren, aber das Risiko wird oft eingegangen. Warum man das will, ist also offensichtlich. Auch durch die Philosophie ist das gestützt. Ich habe ja einmal eine Folge über das gute Leben gemacht, die Nr. 19. Da habe ich unter anderem erwähnt, dass nach Epikur ein gutes Leben aus einer Aneinanderreihung von guten Erlebnissen besteht. Je öfter man sich also gut fühlt und solche guten Episoden in sein Leben bringt, desto besser ist es.

Wobei man hinzufügen muss, dass Epikur kein Hedonist war – der würde das nämlich so unterschreiben und den Drogenkonsum bedingungslos unterstützen. Epikur hat eigentlich gepredigt, dass man durch die Vernunft die wahren Lüste finden soll, um denen dann ewig nachgehen zu können. Dazu haben Drogen auf jeden Fall nicht gehört, sondern eigentlich sogar Enthaltsamkeit. Je mehr man auf solche Laster verzichten kann, desto besser. Denn das wahre Glück ist in der geistigen Betätigung wie dem Philosophieren und der guten Gesellschaft. Wenn das möglichst oft im Leben vertreten ist, macht man eigentlich alles richtig.

Drogen führen also nicht wirklich zu einem insgesamt guten Leben, auch wenn sie einen spontan glücklich machen. Wenig überraschend und auch nicht der Fokus dieser Folge, aber wir behalten das trotzdem einmal im Hinterkopf.

 

Verändertes Wesen durch Drogen

Drogen haben aber eben auch einen anderen Effekt als einfach nur ein gutes Gefühl. Gewisse Stoffe rufen eine Veränderung in unserem Wesen hervor. Zum Beispiel führt Alkohol zu einer größeren Lockerheit und vielleicht auch mehr Mut. Das machen sich einige Menschen zunutze und konsumieren welchen, bevor sie jemanden ansprechen. Manche macht Alkohol aber auch aggressiv, wie das bei häuslicher Gewalt oft der Fall ist, oder im Fußballstadion. Ein Blackout ist auch nicht selten, bei dem man bei einer hohen Alkoholmenge am Tag danach völlig vergisst, was man in seinem Rausch getan hat. Noch extremer ist es bei stärkeren Drogen, die einen sogar in eine andere Realität eintauchen lassen – aber dazu kommen wir später.

Manchmal will man ja schon ein bisschen lustiger sein und seinen Mut steigern. Aber wenn es so weit kommt, dass man Blackouts hat oder sich so anders verhält, als man eigentlich ist, dass man am nächsten Tag gar nicht mehr weiß, was in einen gefahren ist, ist man das dann noch überhaupt selbst? Sind wir noch wir, wenn wir unter starkem Drogeneinfluss stehen? Und warum sollten wir das dann wollen?

Vielleicht widmen wir uns zuerst einmal der ersten Frage, um danach zu schauen, ob wir wirklich jemand anderes sein wollen. Sagen wir, wir trinken an einem gewissen Abend ein bisschen Alkohol, um lockerer zu werden, übertreiben es aber eventuell ein bisschen, singen übermütig laute Lieder in der Bar, sprechen fremde Leute an und können uns am nächsten Tag an nichts mehr erinnern. Sagen wir außerdem noch, dass wir eigentlich eine sehr schüchterne Person sind, die nicht kontaktfreudig ist und es hasst, zu singen. Dennoch haben wir uns am Abend zuvor so anders verhalten, soweit wir zumindest den Aussagen Anderer entnehmen können. Sind wir am Morgen danach noch der oder dieselbe wie am Abend zuvor?

Eine ähnliche Frage haben wir in der 9. Folge bearbeitet. Damals ging es aber eher darum, ob wir über unsere Lebensspanne hinweg dieselbe Person bleiben. Ich hatte in dieser Folge mit dem Philosophen Derek Parfit argumentiert, dass die Person eines Menschen im Geist verankert ist. Dieser sagt also aus, ob wir noch dieselben sind oder nicht. Die Person setzt sich folglich aus psychischen Faktoren zusammen: Erinnerung, Motivation und Charakter. Wenn ich denselben Charakter, dieselben Erinnerungen und dieselbe Motivation habe wie noch vor 2 Wochen, bin ich auf jeden Fall noch dieselbe Person. Schwieriger wird es, wenn man weiter in die Kindheit zurückgeht. Es gibt gewisse Erinnerungen, die man von damals noch hat, sodass man kein komplett Anderer ist, aber Motivation und Charakter werden sich bis dahin normalerweise komplett geändert haben. Das sind die sogenannten psychologischen Verbindungen, wie Parfit sie nennt. Normalerweise bleiben sie ein Leben lang ein bisschen bestehen, werden aber immer schwächer, je weiter man sich zeitlich von seinem aktuellen Ich entfernt. Sie können auch zwischen unterschiedlichen Menschen zur selben Zeit bestehen: Wir können mit jemandem gemeinsame Erinnerungen, Motivationen und Charaktereigenschaften teilen. So sehr sogar, dass die Person uns ähnlicher wird als wir uns selbst in der Vergangenheit. Wenn man diese Argumentationslinie auf den Drogenkonsum anwendet, sieht man bereits, wie anders man teilweise werden kann. In unserem Beispiel verliert die Person alle Erinnerungen an den Abend, will plötzlich Dinge, die sie davor nicht wollte und verhält sich ganz anders. Man würde nicht sagen, dass ihr Charakter sich komplett geändert hat, aber es sind schon große Unterschiede.

Noch gravierender ist die Veränderung, wenn  man nach John Locke geht. Nach ihm ist die Person zunächst auch nur im Kopf verankert. Als Beispiel dazu führt er einen Schuster an, dem der Kopf, also das Gehirn, eines Fürsten eingesetzt wurde. Der neue Mensch würde die Persönlichkeit des Fürsten haben und dieser wäre auch für dessen Taten verantwortlich. Die Person des Schusters würde dagegen verschwinden. Wie aber bestimmt Locke die Identität des Geistes? Das Stichwort ist hier: „Bewusstsein“. Das Bewusstsein macht eine Person aus, denn um denken zu können, muss man sich immer bewusst sein, dass man existiert und was man tut. Im Normalfall gibt es bei einem Menschen auch ein Bewusstsein für vergangene Taten und Gedanken – an diesem Bewusstsein können wir festmachen, dass es noch genau dieselbe Person ist wie damals. Und da können wir auch abgrenzen, ob sich jemand verändert hat. Nehmen wir zum Beispiel etwas aus der Kindheit: Wenn man damals mit Autos gespielt hat, sich aber 40 Jahre später nicht daran erinnert, also kein Bewusstsein mehr dieser Zeit und den Gedanken damals hat, ist man nicht mehr dieselbe Person. Es ist nicht mehr die „eigene“ Tat. Bei Straftaten scheint das auch intuitiv zu sein: Wenn ein Straftäter kein Bewusstsein mehr für eine Tat vor etlichen Jahren hat, ergibt es wenig Sinn, ihn zu bestrafen und es ist auch nicht mehr wirklich er, der es getan hat. Ihr seht also, John Locke kommt ohne den Charakter und die Motivation aus und macht den Personenbegriff ganz einfach an der Erinnerung fest. Und das würde bedeuten, dass man, egal wie man sich verhält, bei einem Blackout überhaupt nicht mehr dieselbe Person ist wie zuvor. Das klingt krass, ist aber vielleicht doch nicht so abwegig. Ich habe schon ein paarmal nach einem Saufabend erzählt bekommen, dass ich wohl lustige oder komische Sachen gemacht hatte, an die ich mich aber gar nicht mehr erinnern konnte. Sind es dann überhaupt noch meine Erlebnisse, wenn sie gar keine Auswirkungen mehr auf meine Person haben und in der Abwesenheit meines jetzigen Bewusstseins stattgefunden haben? Es wirkt eher so, als wäre da jemand anders am Werk gewesen. Ob nun also Parfit oder Locke: Wir scheinen entweder kaum oder gar nicht wir selbst zu sein, wenn wir es mit dem Drogenkonsum übertreiben.

 

Angst vor Veränderung

Wenn das aber so ein häufiger Effekt von Drogen ist, heißt das dann, dass wir es so wollen? Wollen wir an solchen Abenden tatsächlich die Kontrolle und Verantwortung einmal abgeben und jemand anders werden? Nun, die intuitive Antwort ist eigentlich nein. Der Gedanke kommt uns sogar gruselig vor, auf einen Schlag unser Bewusstsein zu verlieren und die Kontrolle über unser Leben einer anderen Person zu überlassen. Vielleicht will man lockerer und lustiger sein, aber man will es immer noch selbst sein. Auch will man selbst eine gute Zeit haben, nicht einfach jemand anderes – selbst wenn dieser jemand im selben Körper stecken würde wie wir.

Dieses Verhältnis zwischen den eigenen verschiedenen Selbst-en stellt Parfit in einem Beispiel dar. Stellen wir uns einen jungen russischen Mann von reicher Abstammung vor. So reich, dass seine Familie mehrere tausend Russen versorgen und ihnen einen Ort zum Wohnen geben könnte. Das liegt aber nicht in der Hand des Mannes, sondern der seines Vaters, dem bisher alles gehört. Dieser ist ein konservativer Mensch, der an seinem Besitz festhält und ihn später seinem Kind vermachen will. Der junge Mann aber, um den es hier vor allem geht, ist überzeugter Kommunist und möchte die Besitztümer später alle weggeben, wenn er sie erbt, um das Eigentum gleich zu verteilen. So weit so gut, aber der junge Mann hat Bedenken, ob sein Plan aufgeht: sicher wird er alles erben, wenn der Vater stirbt, aber wird er dann noch an seine Ideale glauben? Es könnte immerhin noch einige Jahrzehnte dauern! Der Mann fürchtet, dass er später einmal doch alles wird behalten wollen und nichts hergibt. Um das zu verhindern, setzt er dann aber einen Vertrag auf, der ihn zwingt, sein gesamtes Erbe zu spenden und übergibt seiner Frau das einzige Widerrufsrecht. Für den Notfall. Aber diese bittet er dann natürlich, davon nie Gebrauch zu machen, auch wenn er seine Meinung einmal ändern sollte und darum bittet und fleht. Was halten wir davon? Der russische Edelmann, wie er im Beispiel genannt wird, hat ganz offenbar Angst vor seinem späteren Ich und nicht mehr ewig die Kontrolle zu haben. Er trifft daher sogar über den Tod seiner Person hinaus Maßnahmen, um diese andere Person zu behindern. Er tut so, als wäre sein zukünftiges Ich ein komplett anderer Mensch! Und komplett unplausibel ist das auch wieder nicht: Man kann sich gut vorstellen, dass sich solche Sichtweisen über die Zeit verändern. Irgendwann will man dieses Geld sicher für sich haben, besonders, wenn man vielleicht auch Kinder hat und so einfach im Luxus leben könnte. Das spätere Ich würde sicher die Frau bitten, den Vertrag wieder aufzulösen. Das ist eine interessante Situation, denn man könnte sich die Frage stellen, wem sie dann verpflichtet wäre. Das alte Versprechen ist auf jeden Fall noch wirksam, denn es hat sich auf genau diese Zeit bezogen, während die Person dahinter jedoch tot ist. Der neue Mann ist natürlich kein komplett anderer: Ob man nach Parfit oder Locke geht, er behält seine Erinnerung, also ist er nicht so anders als davor. Der Punkt ist aber, dass allein diese eine Veränderung in der Person ausreicht, um einem echte Panik vor der Zukunft zu machen. Bereits wenn man sich ein bisschen in der Motivation ändert, verliert das frühere Ich die Kontrolle und stirbt. Wenn man es so wie der russische Edelmann betrachtet, führt dann tatsächlich einfach jemand anderes sein Leben und trifft Entscheidungen, die er nicht will.

Nun, also um die Frage zu beantworten, ob man eine andere Person sein will: logischerweise will man das nicht. Obwohl man dazusagen muss, dass die normale Abfolge von Personen über das Leben hinweg nichts ist, was man befürchten muss. Denn der russische Edelmann ist fehlgeleitet: Es ist immernoch er selbst, der zu seinem späteren Ich werden wird, genau wie wir auch immer die spätere Person selbst hervorbringen. Und man arbeitet nie wirklich gegen die eigenen Interessen. Wenn der Wille sich ändert, tut er es eben. Das hat auch alles Jean-Paul Sartre etwas aufgedröselt, erzähle ich in der 2. und 46. Folge zum Sinn. Der russische Edelmann muss sich schon irgendwie gedacht haben, dass es der Kommunismus nicht zu 100% ist, wenn er sich so sehr vorstellen konnte, es wieder aufzugeben. Also, das ist alles nicht unnormal oder besorgniserregend, aber das sind auch Veränderungen über einen langen Zeitraum. Aber was ist, wenn das alles spontan passiert?

Und damit schlagen wir den Bogen wieder zurück zu den Drogen. Wir haben geklärt: Wenn man an einem Abend durch Alkohol so sehr die Kontrolle verliert, dass man sich noch nicht einmal die Erinnerung daran behält, ist man währenddessen kaum bis nicht dieselbe Person wie davor und danach. Dennoch hat das, was die Person an dem Abend tut, Auswirkungen auf den eignen Körper, also ist man ihr dankbar, wenn sie keinen Unsinn macht. Anders aber als der russische Edelmann ist das keine natürlich Veränderung von einer Weltsicht zur nächsten, sondern man ist eine Person, dann gibt es eine Pause, in der irgendjemand irgendetwas macht und dann ist man wieder derselbe. Das heißt, dass man diese Zwischenperson und diesen Kontrollverlust an dem Abend eigentlich überhaupt nicht wollen kann, weil das weder davor noch danach zu den eigenen Wünschen zählt. Wenn man sich wünscht, lockerer und lustiger zu werden, will man trotzdem derselbe bleiben: es soll ja nicht jemand anders eine gute Zeit haben! Wir wollen schon eigentlich zu jeder Zeit unseres Lebens ein waches Auge auf das Geschehen haben.

 

Drogen für Erkenntnisse

Machen wir weiter mit einem Punkt, den ich vorhin schon einmal angeschnitten habe: Man nimmt gewisse Drogen auch, um Erfahrungen, vielleicht sogar Erkenntnisse zu machen, die man sonst nicht machen könnte. Zum Beispiel schicken einen gewissen Pilze auf Trips, in denen man Dinge sieht und fühlt, die man später niemandem beschreiben kann. Oder, etwas harmloser: Marihuana, durch das man alltägliche Dinge auf einmal sehr amüsant findet und gewisse Gedanken faszinierend. Haben diese Erfahrungen und Erkenntnisse irgendeinen Wert?

Fest steht, dass man beim Drogenkonsum kein Wissen von außen erhält. Alle Erfahrungen, die man macht, spielen sich nur im Gehirn ab, da gewisse Teile davon stimuliert werden. Es ist also nicht so, als wäre irgendetwas davon naturwissenschaftlich brauchbar. Wie sieht es aber mit anderen Wissenschaften aus? Es ist ja ein Klischee, dass Leute unter Drogeneinfluss anfangen, zu philosophieren und man folglich Drogen nehmen muss, um Philosoph zu sein. Das ist natürlich nicht wahr, aber ganz anders operiert die Philosophie auch nicht von der Funktionsweise einer solchen Droge. Man konzentriert sich nicht auf Erkenntnisse von außen, sondern richtet den Blick nach innen. Und das öffnet einem oft die Augen, denn gewisse Dinge sind tatsächlich extrem faszinierend, wenn man sich einmal die Zeit nimmt, sie zu bewundern. Und gewisse Gedanken sind wirklich interessant, die einem davor noch nie gekommen sind. Diese Vorgehensweise ist sehr anders als die der Naturwissenschaften.

In der 7. Folge habe ich einmal den Unterschied zwischen induktiven und deduktiven Schlüssen erklärt. Damals habe ich den Wert der Philosophie als Wissenschaft erklärt. Ganz grob gesagt, arbeiten Naturwissenschaften normalerweise induktiv und mit Erkenntnissen von außen. Damit sind sie immer auch ein stückweit experimentell. Zum Beispiel könnte eine naturwissenschaftliche These sein, dass wenn das Medikament X bei Affen wirkt, es das auch bei Menschen tut. Oder, etwas sicherer: Wenn ein Medikament 400 Jahre lang bei jedem Menschen funktioniert hat, wird es das auch beim nächsten tun. Das ist ein induktiver Schluss, der auf Wahrscheinlichkeit basiert, aber nicht auf innerer Logik. Nur weil das Medikament so vielen Menschen geholfen hat, muss das nicht heißen, dass es das weiterhin tut. Aber das ist natürlich überaus wahrscheinlich. Das ist auch richtig so, denn es gibt in der Natur keine 100%igen Wahrscheinlichkeiten, man muss eben mit dem arbeiten, was man hat. Wenn man nach vollständiger Logik sucht, macht man erst einmal gar keine Erkenntnisse. Die Philosophie aber ist da anders. Als deduktive Wissenschaft arbeitet sie nur mit inneren und logisch notwendigen Schlüssen. Zum Beispiel: Menschen sind sterblich, Sokrates ist ein Mensch, also ist Sokrates sterblich. Das ist keine neue Erkenntnis, aber darum geht es auch nicht: Die Philosophie soll Ordnung im Kopf schaffen, um die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse zu verarbeiten und nach dem Sinn zu suchen. Deshalb sind philosophische Erkenntnisse zwar nie komplett überraschend, aber auch nicht von vorneherein klar. Das sehr ihr vielleicht bei einigen meiner Folgen: Das Ergebnis hat euch vielleicht nicht vom Hocker gehauen, aber es hat eine Folge gebraucht, um es zu verstehen.

Um also den Bogen zurückzuschlagen: Erkenntnisse unter Drogeneinfluss sind nicht gleich zu verwerfen, denn sie können sinnhaft sein. Man muss aber einwerfen, dass man deutlich besser im nüchternen Zustand philosophiert, weil man unter Drogeneinfluss einfach nur Gedanken in die Welt setzt, aber zu müde ist, um sie ordentlich zu verbinden. Und falls nicht, würde man das jedenfalls ohne Drogen auch hinbekommen. Das ist also vielleicht eine Überraschung, aber Philosophen operieren tatsächlich besser im nüchternen Zustand.

 

Eine andere Realität durch Drogen

Jetzt habe ich aber noch nichts über die Erfahrungen gesagt, die man bei Pilzen oder Drogen dieser Art macht. Wenn man auf einmal neue Farben sieht, Formen spürt oder was noch von diesen Zuständen erzählt wird. Das sind dann jedenfalls keine deduktiven Schlüsse, sondern einfach nur Sinneswahrnehmungen. Und zwar solche, die nur unter Drogeneinfluss gemacht werden können und deshalb von den meisten Leuten abgetan werden. Steckt aber dennoch ein Stück Wahrheit hinter ihnen?

Wenn man Protagoras glaubt, dann ja. Nach diesem antiken Philosophen steckt in jeder Sinneswahrnehmung eine eigene Wahrheit. Ich habe seine Position in der Folge über die Skeptiker und die Vorsokratiker etwas weiter ausgebaut, da könnt ihr gern noch einmal reinhören. Aber auf den Punkt gebracht meint er, dass es keine objektive Wahrheit gibt, sondern nur subjektive Eindrücke, die für das Subjekt selbst Wahrheiten sind. Zum Beispiel mag einer Person ein Wind kalt vorkommen, während eine andere ihn warm findet. Das ist nicht unlogisch, sondern durchaus denkbar. Hier wurden beide Sinneseindrücke auf einer subjektiven Ebene erwiesenermaßen gemacht, schließen sich aber auf einer objektiven Ebene aus. Der Wind kann nicht gleichzeitig warm und kalt sein. Daraus folgt, dass er gar nichts davon ist und nur der einen Person warm und der anderen kalt vorkommt. Das sind aber beides auch Wahrheiten: er ist also objektiv zwar weder warm noch kalt, subjektiv aber ist er je nachdem eines davon. „Der Mensch ist das Maß aller Dinge“, heißt es von Protagoras dazu.

Wenn man das auf den Drogenkonsum bezieht, wäre eine solche alternative Realität tatsächlich für sich genommen eine Wahrheit. Das Problem ist aber: selbst wenn das stimmt, muss man sich dauerhaft unter Drogen setzen, um diesen Zustand weiter zu ergründen und Wahrheiten über ihn herauszufinden. Denn die Wahrnehmungen unserer Realität, die dann ja auch alle wahr sind, unterscheiden sich davon. Ich muss euch aber wahrscheinlich nicht sagen, dass eine dauerhafte Einnahme von starken Drogen den Körper kaputtmacht. Außerdem muss man hinzufügen, dass Protagoras‘ Theorie nicht die einzige ist. Eigentlich ist es sogar eher common sense, nach Platon zu gehen, die objektive Realität zu akzeptieren und Wahrnehmungen unter Drogeneinfluss als unwahr abzutun.

 

Endstand

Fassen wir einmal zusammen. Es gibt 3 Gründe, wieso man Drogen nimmt: Entweder will man sich nur einfach gut fühlen, ein bisschen an seinem Wesen schrauben oder neue Erkenntnisse machen.

Zuerst haben wir uns angeschaut, wie es mit dem guten Gefühl aussieht, das eigentlich recht unkontrovers scheint. Laut Epikur führt man ein gutes Leben, wenn man möglichst viele gute Erlebnisse hat und aneinanderreiht. Demnach wäre es tatsächlich am besten, so oft wie möglich Drogen zu nehmen, um sich gut zu fühlen. Epikur ist aber kein Hedonist, wie er oft interpretiert wurde und sagt, dass Drogen und andere Suchtstoffe nicht zu seinem Bild eines guten Lebens gehören. Man solle vielmehr in dieser Hinsicht enthaltsam leben und durch die Vernunft nach den wahren Lüsten suchen: der Betätigung des Geistes und der guten Gesellschaft. Drogen dagegen sind eine kurzfristige und wenig nachhaltige Freude.

Dann haben wir uns angeschaut, was passiert, wenn man sich durch Drogen ein bisschen verändern will. Es ist nicht abwegig, dass man sich auf einer Party wünscht, etwas lockerer oder lustiger zu sein und deshalb ein bisschen mehr trinkt. Was aber keiner will, ist, die Kontrolle über die eigene Person zu verlieren. Doch genau das passiert, wenn man etwas über den Durst trinkt, lauter komische Sachen macht und sich später nicht mehr erinnert. Nach John Locke ist man in dem Augenblick nicht mehr dieselbe Person wie zuvor, wenn man kein Bewusstsein mehr für die Taten der Vergangenheit hat. Und das möchte keiner, denn das bedeutet, dass da jemand anders gerade Entscheidungen über unser Leben trifft und an unserer Stelle Spaß hat. Ein bisschen ein Charakterboost: ja, aber Charakteränderung: nein. Und das ist schon eine fine line.

Und dann ging es um die Erkenntnisse, die man möglicherweise unter Drogeneinfluss macht. Entweder, wenn man Marihuana raucht und plötzlich anfängt, gewisse Gedanken sehr faszinierend zu finden oder, unter dem Einfluss härterer Drogen, die einen in eine neue Realität bringen. Dieses scheinbare Philosophieren unter Drogeneinfluss ist ein häufiges Klischee, aber nur zur Hälfte wahr. Die Philosophie operiert zwar tatsächlich sehr ähnlich, da sie auch nach inneren Gedanken schaut und einige davon als faszinierend heraushebt. Sie wirft sie aber nicht wahllos durch die Gegend, sondern verbindet sie unter logischen Schlüssen. Dass man dazu unter Drogeneinfluss nicht in der Lage ist, ist selbstredend. Die alternative Realität wirft auch nicht so viel für uns ab, wie es vielleicht scheint. Sicher, es ist bestimmt eine interessante Erfahrung, aber naturwissenschaftlich kann man das nicht nennen, denn es findet nur im eigenen Kopf statt. Wenn man Protagoras glaubt, sind alle Sinneseindrücke subjektiv wahr, also betritt man eine ganz neue tatsächliche Welt. Aber selbst, wenn das stimmt, muss man sie immer wieder besuchen, um sie wirklich zu erforschen. Ob sich das lohnt, ist die Frage – und dann steht noch im Raum, dass die populäre Position nach Platon besagt, dass es nur eine objektive Realität gibt und zwar die, die wir kennen. Alle anderen liefern keine Wahrheiten.

 

Konklusion

Ich denke, wir können eines festhalten: Alle Gründe, Drogen zu nehmen, bringen einen auf Dauer nicht weiter. Das gute Gefühl ist nicht nachhaltig, das Wesen lässt sich verändern, kann einen aber auch zu einer anderen Person machen und die Kontrolle verlieren lassen und irgendwelche Erkenntnisse kann man auch machen, es ist aber fraglich, ob die einen wirklich weiterbringen. Wenig überraschend also: von einem rationalen Standpunkt lohnt es sich nicht, Drogen zu nehmen. Aber ich bin auch kein Moralapostel und weiß schon, dass es nicht um das Rationale geht, wenn wir Drogen nehmen. Es macht eben einfach Spaß!

So, und das war es mit der Folge! Das war vielleicht eine interessante Recherche, ich hätte nicht gedacht, dass ich zu so einem Thema tatsächlich so viel finden könnte! So, und das war es mit der Folge! Das war mal wieder ein sehr interessantes Thema, ich habe das Gefühl, auch selbst sehr viel über den Film und den Sinn des Lebens gelernt zu haben. Lasst es mich gern über einen Kommentar wissen, was ihr denkt! Wenn ihr Blogbeiträge wie diesen lieber hören statt lesen, meinem Instagram folgen, mich erreichen oder etwas spenden wollt, finde ihr alle Links dazu in meinem Linktree. 

Gut, das war es von mir – einen schönen Tag wünsche ich euch noch!


Quellen

,,Antike Philosophie" - Perfrancesco Basile

,,Gründe und Personen" - Derek Parfit

,,Versuch über den menschlichen Verstand" - John Locke

,,Theaitetos" - Platon


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