#37 Wer war Nietzsche?

Zusammenfassung

Wer war eigentlich Friedrich Nietzsche? Man kennt ihn als großen Philosophen mit reißerischen Theorien. Er war derjenige, der Gott für tot erklärt hat, der eine eigene Bibel als Alternative geschrieben, der behauptet hat, es gäbe eigentlich gar keine universellen Werte oder überhaupt Wahrheit da draußen. Doch wer war er eigentlich wirklich? Wie kam er auf seine zu dieser Zeit einzigartigen Theorien? Durch Biografien von Rudolf Steiner und Sue Prideaux werden wir feststellen, dass er die meiste Zeit seines Leben eigentlich gar kein Philosoph war. Und dass er sich sein riesiges Erbe in einem harten Leben mühsam erkämpft und nie aufgegeben hat!                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  Hallo zusammen und herzlich willkommen zurück zu einer weiteren Folge von „Philosophie für zwischendurch“!

 

Einleitung

Heute gehe ich einmal auf einen Folgenwunsch von einem Zuhörer ein! Ich hoffe, dass du gerade zuhörst: Denn jetzt kommt eine Folge über Friedrich Nietzsche. Ihr dürft euch übrigens gern jederzeit bestimmte Themen wünschen und mir über Instagram oder E-Mail schreiben! Ich kann nicht versprechen, dass ich sie alle annehme und umsetze, aber ich tue auf jeden Fall immer mein Bestes! Es geht hier ja auch darum, euch etwas beizubringen. Bisher habe ich nur eine Folge über einen einzelnen Philosophen gemacht, und zwar über Sokrates! Und diese Folge ist auf Platz 2 der meistgehörten Folgen, gleich nach der über den Sinn des Lebens! Dieses Format scheint euch also Spaß zu machen, und ich fand die Recherche diesmal auch wieder sehr interessant. Mein Hauptding wird hier auf jeden Fall immer sein, sich zu Themenfragen verschiedene Positionen herauszusuchen. Etwas ganz anderes ist es aber, einmal in das Leben eines einzelnen Philosophen oder einer Philosophin einzusteigen und genau herauszufinden, wer er oder sie genau war. Und genau das werden wir heute tun.

 

Nietzsches Philosophie

Friedrich Wilhelm Nietzsche. Das war sein vollständiger Name. Nach einer Kurzbiografie des deutschen Philosophen Rudolf Steiner soll er ein sehr ungewöhnlicher Mensch gewesen sein. Nietzsche hat sich immer gefühlt, als wäre er in der falschen Zeit geboren, er war zurückgezogen und grüblerisch. Bei diesem Philosophen hat man immer das Gefühl bekommen, er würde gegen die gesamte Welt kämpfen wollen. Er hatte Gedanken und Ideen, die oft niemand in seinem Umfeld geteilt hat. Dennoch hat er auf ihnen bestanden und ist entschlossen gegen den Strom geschwommen.
Wir kennen Nietzsche vor allem als Philosophen. Und ein Philosoph, der besonders viel Einfluss auf ihn hatte, war Arthur Schopenhauer. Ihr kennt ihn vielleicht aus meiner Folge „Muss sich die Philosophie verändern?“ oder „Optimismus, Pessimismus und Realismus“. Und dann wisst ihr auch, was für ein Philosoph er war. Schopenhauer war einer der ersten berühmten Philosophen, die sich entschieden gegen die Universitäten im damaligen Preußen gewandt haben. Er fand ihre Erkenntnisse unzureichend, zu wenig mutig und schleierhaft. Und auch sonst pflegte Schopenhauer eine eher pessimistische Weltanschauung. Ganz versessen war er auf den Buddhismus und der Meinung, wir würden durch alles, was wir auf der Welt tun, leiden. Das Leben selbst würde leiden bedeuten.
Dennoch war das für Friedrich Nietzsche kein Grund, den Kopf hängen zu lassen. Für den Philosophen war die Hauptaufgabe aller Philosophie das gute Leben. Nichts Anderes. Selbst den Wert der Wahrheit stellte Nietzsche ganz offen in Frage. Er fragte, was man denn mit gewissen Wahrheiten überhaupt anfangen sollte. Wenn sie dem Wohlbefinden im Wege stehen, sollte man dann nicht lieber an Unwahrheiten glauben? Sehr ungewöhnliche Worte von einem Philosophen. Und er geht sogar noch weiter: Nietzsche ist der Meinung, dass alle Philosophen um ihn herum nur behaupten würden, sie hätten die universelle Wahrheit erkannt. Aber eigentlich würden sie über ihre Erkenntnisse nur Macht ausüben wollen. Als Befehlende und Gesetzgebe soll er die Philosophen bezeichnet haben. Denn letzten Endes, so Nietzsche, würde eigentlich niemand nach der Wahrheit selbst streben. Wozu denn? Was haben wir denn von der Wahrheit? Es ist wie in der Wirtschaft. Die Leute sind doch nicht nur hinter dem Geld her! Das kann man doch nicht essen! Und die Wahrheit eben auch nicht. Was wir wollen, ist ein gutes Leben und Macht. Macht in dem Sinne von einer stärkeren Persönlichkeit, dass wir mehr Anerkennung und Einfluss haben. Überhaupt hat Nietzsche nie an irgendwelche objektiven Wahrheiten geglaubt. Für ihn sind alle philosophischen Theorien nur subjektive Äußerungen, um ein besseres Leben zu führen. Er nimmt sich aus dieser Regel auch selbst nicht heraus.
Aber weil es eben darum geht, lohnen sich gewisse Fragen nicht. Wen interessiert es, welchen Sinn das Leben hat? Für Nietzsche fragen nur kranke Persönlichkeiten danach. Denn man bekommt sowieso keine eindeutige Antwort und schadet sich wahrscheinlich sogar noch. Man sollte seine Energie weniger darauf verschwenden, das Leben zu hinterfragen, als es einfach zu führen. Und damit war er ein einzigartiger Philosoph, besonders in seiner Zeit.
Und damit nicht genug: Nietzsche lehnt auch grundlegende Konzepte der damaligen Gesellschaft ganz einfach ab: Moral, Gott und Religion. Für ihn sind das alles nur Mittel, die Menschen zu beschränken. Aber niemand sollte einfach so irgendwelche objektiven Werte aus dem Hut zaubern und dann allen weismachen, sie müssten sich so verhalten. Das findet Nietzsche falsch. Für ihn ist der Mensch ein starkes, freies und kämpferisches Wesen. Das gute Leben ist etwas, das man sich hart erarbeiten muss. Und da braucht man nicht irgendwelche archaischen Fesseln, die irgendwelche Menschen irgendwann einmal für sinnvoll befunden haben. Nietzsche beklagt, dass die Menschen für eine Religion ihr Leben verschwenden würden. Zu Tausenden würden sie ihre Lebensqualität im Diesseits opfern, um sich eine Hoffnung an das Jenseits zu erhalten. Aber man könnte diese Energie genauso gut darin investieren, ein besseres Leben im Diesseits zu haben! Das Leben ist der Sinn und das Ziel von allem. Es lohnt sich, zu leben! Und es lohnt sich, gut zu leben. So hat er gedacht.

 

Nietzsches Person

Und diese Mentalität findet sich auch in seinem Charakter wieder. Nietzsche war jemand, der sehr großen Gefallen an dem Gedanken an Macht gefunden hat. Nicht politische Macht oder so etwas. Sondern die Macht, als Mensch selbstbestimmt und stark genug zu sein, um eigenständig gut Leben zu können. Er war ein absoluter Individualist und der Meinung, jeder Mensch sollte sich dem Kampf um das eigene gute Leben allein stellen. Alle müssen sich von ihren Fesseln lösen und ihren Weg finden. Auch Nietzsche selbst hat sich nie gern größeren Autoritäten untergeordnet. Zeit seines Lebens hat er jede Kritik an seinen Werken abgeschmettert und als subjektive Äußerung abgetan. Sogar die Regeln der Logik sieht er kritisch.
Und das ist natürlich schwierig, wenn man über eine solche Kritik erreicht werden soll. Denn es gab durchaus Philosophen, die seine Werke an der ein oder anderen Stelle analytisch kritisiert haben. Dass gewisse Passagen nicht komplett stimmig wären. Aber Nietzsche hatte bereits mit dem Wesen dieser Kritik ein Problem. Klar sind gewisse Einsichten wie die von Kant logisch und analytisch schlüssig. Doch es hält doch die Philosophie niemand mehr für besonders hilfreich oder nötig, meint Nietzsche. Genau wie Schopenhauer findet der Philosoph die zeitgenössische Philosophie viel zu eingeschlafen und starr. Keiner würde sich trauen, einmal außerhalb des bekannten Systems zu denken. Stattdessen gab es entweder irgendwelche langatmigen Werke, die sowieso niemand verstand. Oder lauter Tautologien, also Sätze, die ohnehin schon klar und logisch waren. Nietzsche hat sich bei allen seinen Theorien nie reinreden lassen. In jedem Buch bekommt man den Eindruck, dass man hier einen Mann vor sich hat, dem es egal ist, ob man seine Position unlogisch oder falsch findet. Er ist davon überzeugt und wird nicht davon abrücken. Dazu sagt der Philosoph: „Mein Ehrgeiz ist, in zehn Sätzen zu sagen, was jeder andere in einem Buch sagt und was jeder andere in einem Buch nicht sagt.“
Was lernen wir hier also über Nietzsche? Er war wohl ein sehr interessanter Charakter. Auf der einen Seite soll er wohl sehr optimistisch gewesen sein. In seinen Schriften hat er das Leben regelrecht besungen und jedem Menschen zugestanden, stark und frei zu sein. Jeder sollte selbst sein Leben gestalten.
Auf der anderen Seite hat er aber auch viele Grundlagen des damaligen Lebens beseitigen wollen: Religion, Moral und Wahrheit. Und das sind Dinge, die viele Menschen gerade dazu benutzt haben, ein gutes Leben zu führen.
Und dann war er auch ein Kämpfer: Über alle Maße war der Philosoph von seiner Meinung überzeugt und entschlossen, sie gegen jeden und alles zu verteidigen. Der gesamten Philosophiegeschichte hat er sich mit seiner Ablehnung der Wahrheit entgegengestellt. Sogar Sokrates, den Vater der Philosophie, hat er als „Clown“ bezeichnet.
Man sieht hier aber auch, dass Nietzsche nicht gern diskutiert hat. Ganz zurückgezogen war er wohl und für sich. Komplett allein wollte er seine Wahrheit finden und dafür keine Kompromisse eingehen. Dadurch ergibt sich eine sehr autonome und überzeugte Philosophie.

 

Nietzsches Leben

Doch wie war das Leben des Friedrich Nietzsche eigentlich? Woher kam seine Obsession mit der Freiheit und seine ungewöhnliche Philosophie? Warum hat er sich fast schon zwanghaft gegen jede Meinung oder Kritik gestemmt? Wieso war er so überzeugt davon, komplett frei sein zu müssen und sich das allein zu erkämpfen?
Was wir zunächst verstehen müssen, ist, dass Nietzsche die meiste Zeit seines Lebens gar kein Philosoph war. Seine berühmten Werke kommen aus nur 10 Jahren seines Lebens. Nietzsche ist zwar nur 55 geworden, aber das ist immernoch weniger als ein Fünftel davon. Wenn er so bekannt dafür ist, wieso war das nur eine so kurze Phase? Was hat er davor und danach gemacht?

 

Kindheit und Jugend

Ein bisschen mehr Einsicht gibt uns die norwegische Schriftstellerin Sue Prideaux. Friedrich Wilhelm Nietzsche wurde 1844 in Röcken, dem heutigen Niedersachsen geboren.
Und schon ganz zu Beginn hatte er eine schwierige Kindheit. Sein Vater litt von jeher an nervlichen Störungen, die sich zu dieser Zeit keiner so richtig erklären konnte. Von einer angemessenen Behandlung ganz zu schweigen. Oft schloss er sich stundenlang und komplett allein in seinem Arbeitszimmer ein, weil er sich kaum konzentrieren konnte. Schwere Migräneanfälle waren nur eines seiner Leiden. Oft soll Nietzsches Vater auch mitten im Satz einfach abgeschaltet und seinen Blick ins Leere gerichtet haben.
Gerade einmal 5 Jahre nach Nietzsches Geburt starb er dann und übergab das Sorgerecht an seine Frau und die zwei Tanten seines Sohnes. Dieser Tod war aber nicht von ungefähr gekommen. Schon seit Generationen hatten solche Störungen und psychische Probleme in der Familie gelegen. Ein Onkel hatte sich umgebracht, um nicht eingewiesen zu werden. Und die Tanten wurden damals schon als „geistig abnormal“ beschrieben. Nun, wie man damals eben so geredet hat. Nietzsches Bruder starb auch früh, an einem Schlaganfall. Und so blieb Nietzsche mit seiner Mutter, Schwester, Großmutter und den Tanten zurück.
Trotzdem konnte der spätere Philosoph noch eine relativ normale Kindheit führen. Sein Zukunftsplan stand auch schon: Da der Vater Pastor gewesen war, sollte er in dessen Spuren treten. Und dem war Nietzsche nicht abgeneigt: Ironischerweise war gerade er damals einer der frommsten Menschen in der Gegend. Was ihn aber auch interessierte, war die Musik. Denn im Klavierspielen war Nietzsche ganz besonders talentiert. Und ein weiteres Talent entdeckte der spätere Philosoph, als er auf eine sprachwissenschaftlich ausgelegt Schule ging.
Den Musikwunsch verwarf Nietzsche schnell, weil er daneben zu viele andere lukrativere Begabungen hatte. Auch die Theologie gab er nach einem Semester auf. Und so studierte er mit 20 Jahren klassische Philologie und Linguistik in Leipzig.
In diesen Tagen war noch nichts von dem aufbrausenden, stolzen und entschlossenen Nietzsche sichtbar, den wir alle kennen. Er wurde eher als kultiviert beschrieben, höflich, gutmütig und ernst. Bis auf einen klaren und stechenden Blick nicht besonders auffällig. Was ist nur passiert?
Zunächst sah es eigentlich sehr gut aus. Nietzsche war nämlich ein extrem guter Sprachwissenschaftler! Aber auch diese Wissenschaft hat er immer mehr zu hassen gelernt. Er beklagte, dass sich die Philologen nur mit irrelevanten, selbst auferlegten Problemen beschäftigen würden. Es wären Maulwürfe, die blind mit Scheuklappen durchs Leben gehen. Er hatte oft den Eindruck, es müssten größere Fragen gestellt werden. Hier zeigt sich zum ersten Mal, dass die Philosophie für Nietzsche viel mehr bereitgehalten hätte.

 

Karriere

Jedoch war er jetzt schon zu sehr in der Philologie drin. Und seine Erfolgsgeschichte ging sogar noch weiter! Mit nur 25 Jahren hatte er so gute Leistungen erbracht, dass er von der Universität Basel auf eine Empfehlung hin für einen Lehrstuhl einberufen wurde! Das muss man sich einmal vorstellen! Also, natürlich haben hier noch andere Faktoren hereingespielt. Man muss bedenken, dass es damals, auch aufgrund der geringeren Lebenserwartung, nicht immer üblich war, bis 50 oder 60 auf seinen Lehrstuhl warten zu müssen. Auch hatte die Universität Basel zu der Zeit Geld-/ und Personalprobleme. Doch trotzdem. Da steht dieser 25-jährige Student ohne Promotion in einer Uni und hält Vorlesungen für seinen eigenen Lehrstuhl! Man muss Nietzsche wohl nachsehen, dass er dieses Angebot natürlich angenommen hat. Selbst wenn man sein Fach nicht extrem gemocht hat, gab es hier extreme Karrieremöglichkeiten und Gehälter.
Doch die Motivation ist und bleibt einfach ein extrem wichtiger Faktor bei der Jobsuche. Nietzsche konnte sich trotz des hohen Gehalts und Ansehens nie für sein Tun begeistern. Er fühlte sich, als würde er das falsche Leben leben. Als würde er eine Maske tragen. Es war diese Zeit, in der er seine Begeisterung für die Philosophie von Arthur Schopenhauer fand. Im Gegensatz zu allen seinen Zeitgenossen fand er dessen Theorien gar nicht deprimierend, sondern tröstend! Nietzsche gefiel die Idee, dass man als Ich eigentlich größer ist als das, was man nach außen lebt. Er selbst fühlte sich, als wäre dieser Lehrstuhl nur ein Kostüm von ihm und als müsste er daraus ausbrechen. Und auch von Schmerz verstand der spätere Philosoph sehr viel. Er hatte immerhin eine traumatische Kindheit hinter sich, ein langweiliges Studium und arbeitete an einem Job, den er hasste.
Außerdem ging es mit Nietzsche leider auch schon in diesen jungen Jahren gesundheitlich stark bergab. Er litt seit jeher an ähnlichen Nervenstörungen wie sein Vater damals, die sich mit den Jahren verschlimmert hatten.
Eine starke Migräne und Kurzsichtigkeit plagten ihn. Und ich rede nicht einfach von dem Umstand, eine Brille tragen zu müssen. Sondern, dass auch dickere Gläser immer weniger ausreichten, um überhaupt scharf sehen zu können. Hinzu kam auch noch, dass sein Magen durch eine Behandlung einer alten Wunde nachhaltig beschädigt worden war. Auch hatte er sich in seinen frühen Studienjahren die Syphilis eingefangen, wahrscheinlich bei einem Besuch im Bordell. Und die war damals natürlich quasi unbehandelbar und wurde immer schlimmer. Von den ganzen psychischen Problemen, die er gehabt haben muss, ganz zu schweigen. Es war ehrlich gesagt fast ein Wunder, dass der spätere Philosoph überhaupt noch so lange hat unterrichten können.

 

Aufbruch in die Philosophie

Doch jetzt wollte Nietzsche endlich losbrechen! Endlich seine Maske ablegen, seinen Job kündigen und tun, was er eigentlich wollte: In der Philosophie forschen. Das Problem war nur leider, dass er ja gar keine philosophische Ausbildung hatte. Er hatte ja Sprachwissenschaften studiert! Und als er an der Universität Basel beantragte, seinen Lehrstuhl auf einen philosophischen zu ändern, erntete er nichts als Überraschung und Ablehnung. Es war ja ohnehin eine Ehre gewesen, so jung und ohne Promotion Professor werden zu dürfen. Und dann auch noch komplett fachfremd?
Nun und so begannen die wohl bis dahin schlimmsten Jahre für Nietzsche. Er veröffentlichte die ein oder andere Schrift mit philosophischen Gedanken, aber keiner wollte sie lesen. Sie fanden nirgends in der wissenschaftlichen Welt groß Anklang. Seine Krankheiten holten ihn langsam, aber sicher ein, sodass er anfing, sich Semester um Semester freizunehmen. Die Ärzte konnten aber alle nur wenig für ihn tun und rieten ihm, sich am besten komplett zu schonen. So brachte Nietzsche immer mehr Zeit allein in abgedunkelten Räumen zu. Wie sein Vater damals.
Neben diesem ganzen Elend hatte Nietzsches Lage wenigstens noch einen Vorteil: Jetzt konnte er sich endlich in Ruhe seiner geliebten Philosophie widmen! Im Jahre 1878 schrieb er noch das Buch „Menschliches, allzu Menschliches“, aber als das auch nicht ankam und seine Krankheit sich nicht besserte, ließ er sich ein Jahr später vorzeitig pensionieren. Den Traum, als Philosophieprofessor arbeiten zu können, gab er auf und war fortan freier Philosoph. Zu dieser Zeit war Nietzsche gerade einmal 35 Jahre alt.
Und hier begann die Phase des Friedrich Wilhelm Nietzsche, den wir alle kennen. Denn er schrieb und schrieb und schrieb. In den nächsten 10 Jahren brauchte er alle Werke heraus, die wir heute von ihm kennen. Unter anderem „Die fröhliche Wissenschaft“, „Jenseits von Gut und Böse“, „Zur Genealogie der Moral“ und „Also sprach Zarathustra“. Jedoch blieb das Ergebnis dasselbe. Seine Bücher fanden wenig Beachtung, es kamen keine Diskussionen zustande und alles, was er erntete, war Kritik. Niemand teilte seine Weltanschauungen, niemand verstand ihn. Seine radikalen Sichten gegen die Moral, die Wahrheit, die Universitäten und die Religion konnte niemand nachvollziehen. Stück für Stück zogen sich auch seine engsten Freunde von ihm zurück, sodass er fast komplett isoliert war. Mehr als ohnehin schon. Nietzsches spätere Schriften zeugten auch immer mehr von seinen psychischen Problemen und seinem Größenwahn. Nicht zuletzt seine angefangene Autobiografie aus dem Jahre 1888 namens „Ecce Homo“ mit Kapiteln wie: „Warum ich so klug bin“, „Warum ich so weise bin“ und „Warum ich so gute Bücher schreibe“. Ein bekannter Ausspruch daraus ist: „Ich bin kein Mensch. Ich bin Dynamit!“
Diese produktive Phase hielt jedoch nicht lange an. Im Jahre 1889 erlitt er schließlich einen kompletten Zusammenbruch: Die Krankheiten, die Isolation und die schwierige Lebenslage hatten ihren Tribut gefordert. Akkute Lichtscheu, starke Migräneanfälle, Suizidgedanken, Größenwahn, Isolation, Syphilis, Gonorrhoe und später noch nachgewiesene Demenz und Alzheimer. All das zwang den freien Philosophen für den Rest seines Lebens in sein Krankenbett. Nach mehreren Schlaganfällen konnte er irgendwann noch nicht einmal mehr laufen oder sprechen. Im Jahre 1900 starb Friedrich Nietzsche schließlich mit 55 Jahren an einer Lungenentzündung und einem weiteren, darauffolgenden Schlaganfall.
Ich glaube, kaum ein Philosoph hatte so ein schweres Leben wie dieser. Aus einer Kindheit voller Tod über eine Schule mit einem Fach, das er nicht mochte, ein Studium, das er hasste, einen Job, den er verabscheute in ein Leben, das er eigentlich immer wollte. Und dieses wurde ihm dann 10 Jahre später doch wieder entrissen, nachdem ihn zu seiner Zeit ohnehin niemand dafür wertgeschätzt hatte. Es gehört eine gewisse Größe dazu, dass Nietzsche trotz allem so viele Bücher veröffentlicht hat. Denn diese Werke sind sein Vermächtnis, das inzwischen auf der ganzen Welt gelesen und diskutiert wird. Und von diesen Werken möchte ich euch noch ein paar kurz zeigen.
In seinen Vorworten hat Nietzsche die Gelegenheit, ganz offen über seine Weltsichten zu reden. Und davon macht er auch Gebrauch. Er redet davon, dass man als wahrhaftiger Philosoph einen freien Geist braucht, der sich auch nicht von den Universitäten oder anderen Menschen beeinflussen lässt. Für Nietzsche ist die Suche nach einem guten Leben und der eigenen Wahrheit ein Kampf, den man allein kämpfen muss. Genau wie er es getan hat.

 

Ablehnung der Moral

Sprechen wir über sein Buch „Zur Genealogie der Moral“. Wie der Titel schon sagt, lehnt er hier das Konzept einer objektiven Moral ab. Nietzsche sagt, dass der Mensch an sich weder komplett gut, noch komplett schlecht ist. Und es unterscheiden sich auch überall auf der Welt die kulturellen Vorstellungen des Guten und Bösen. Wo also sollte eine objektive Moral herkommen? Es gibt keine! Und so gibt es für Nietzsche auch keine Legitimation mehr, solchen Regeln zu folgen. Alles, was sie tun, ist, die Macht der Starken in einer Gesellschaft zu erhalten. Die Moral ist ein Mittel, um die Macht einer Gruppe zu legitimieren. Mehr zu diesem Werk findet ihr auch in meiner 3. Und 4. Folge zum guten Menschen und der Moral.
Aber hier sehen wir direkt Nietzsches Ablehnung der Moral. Damals eine sehr unkonventionelle Idee, die keiner wirklich verstanden hat. Auch Nietzsches Position zur Wahrheit wird offensichtlich: Es gibt keine objektive Erkenntnis. Das alles ist nur zur Durchsetzung von Macht da.  Inzwischen findet seine Philosophie jedoch wieder mehr Gehör. Es scheint hier ein Konzept von menschlicher Selbstbestimmung zu geben. Und das ist ein sehr moderner Gedanke. Es ist interessant, dass Nietzsche sich in der falschen Zeit gefühlt hat, weil er das wohl tatsächlich war!

 

Ablehnung von Gott

Ein weiteres berühmtes Werk des Philosophen ist „Die fröhliche Wissenschaft“. Hier lehnt er die Religion ab. Er sagt, Gott wäre tot und der Glaube an ihn würde uns nichts mehr geben. Wir hätten ganz einfach zu viel geforscht in den vergangenen Jahrhunderten. Früher erschien uns Gott vielleicht plausibel, weil wir mit ihm die gesamte Welt erklären konnten. Aber inzwischen sind so viele Phänomene naturwissenschaftlich erklärt worden, dass Gott nicht nur unplausibel, sondern auch unnötig geworden ist. Wir brauchen ihn gar nicht mehr, um ein gutes Leben zu haben. Im 19. Jahrhundert, so Nietzsche, kann man sich das Leben auf Erden so schön machen, dass man nicht die ganze Zeit auf ein Jenseits hoffen muss. Sollte man auch nicht. Der Philosoph bezeichnet die Menschen um ihn herum als „nihilistisch“. Sie würden einem Nichts anhängen, ihr Leben für Nichts vergeuden und dann ins Nichts gehen. Und nicht nur das: Sie machen sich durch ihren Glauben ihr eigentliches Leben kaputt! Durch die ganzen Richtlinien und Riten kettet man sein eigenes Leben an eine Hoffnung auf ein anderes!
Davon sollte man sich freimachen, sagt Nietzsche. Es ist doch gar nicht nötig, das jetzige Leben zu opfern, wenn man jetzt gerade die Macht hat, es zu verbessern! Klar behauptet Nietzsche hier, unser Leben hätte keinen wirklichen Sinn und unsere große Erlösung gäbe es nicht. Aber nur, um zu sagen, dass es das gar nicht braucht! Es ist doch schön hier auf der Erde! Nietzsche stellt uns Menschen als frei, stark und selbstständig dar. Er fordert, dass wir als Übermenschen endlich die Gewalt über unser Leben annehmen, die uns zusteht. Auch hier könnt ihr gern in eine andere Folge reinhören, wenn ihr ausführlichere Infos wollt. In meiner 26. Folge mit dem Namen „Wozu glaubt man an Gott?“ rede ich darüber.
Aber das ist interessant, nicht wahr? Friedrich Wilhelm Nietzsche, der wie kaum ein Anderer gelitten hat, ist der festen Überzeugung, dass man immer die Möglichkeit hat, noch das Beste aus seinem Leben zu machen. Dieser unerbittliche Optimismus ist doch bewundernswert, oder? Man sieht hier auch wieder, wie wichtig Nietzsche das Leben im Vergleich zur Wahrheit ist. Im Grunde ist seine Widerlegung Gottes nichts weiter als eine Annahme, die natürlich auch gut begründet ist. Aber er hält sich nicht mit metaphysischen Argumenten auf, weil es das für ihn nicht braucht. Das Leben ist ohne Gott doch sowieso besser! Dann nehmen wir doch einfach mal an, dass es ihn nicht gibt!

So, und ein letztes Wort noch, bevor wir zusammenfassen und zur Konklusion kommen. „Also sprach Zarathustra“ ist ein Buch, das wahrscheinlich autobiografischer als Nietzsches Autobiografie ist. Denn es ist seine eigene Bibel. Das zeigt, was für eine enorme Selbsteinschätzung der Philosoph hatte. Er hat eine Bibel geschrieben, in der er selbst der Prophet ist: Zarathustra. Denn wie Nietzsche hat dieser jahrelang isoliert zugebracht und nachgedacht. In seinem Fall auf einem Berg. Und mit seinen Erkenntnissen ist der Prophet schließlich auch, ungefähr im Alter von Nietzsche, unter die Menschen gegangen. Wie der Philosoph seine Bücher veröffentlicht hat, so wollte der Prophet sein Wissen verbreiten. Doch beide wurden verlacht und ignoriert. Niemand wollte Zarathustra oder Nietzsche glauben, dass Gott tot wäre. Und so gestehen sich beide ein, dass die Menschheit nicht bereit für ihre Erkenntnisse sind. Sie glauben nicht, dass ihre Erkenntnisse fehlerhaft sind, wohlgemerkt. Und sie sind auch überzeugt, dass es sich mit ihrer Linie besser leben lassen würde. Aber sie sehen die Schwäche der Menschheit. Denn sie braucht ihren Gott, ihre Moral, ihre Wahrheit. Der Philosoph ist wie der Prophet nur einfach zur falschen Zeit geboren.

 

Endstand

Fassen wir einmal zusammen. Wer war Nietzsche? Er scheint ein sehr ungewöhnlicher Charakter gewesen zu sein. Fest überzeugt von seiner Meinung, auch wenn sie keiner hören wollte. Radikal mit seinen Ansichten, obwohl alle zeitgenössische Philosophie dagegen ging. Optimistisch für das Leben der Menschen, trotz einem eigenen außerordentlich schweren Leben. Doch unermüdlich hat er weitergemacht und Bücher veröffentlicht, bis er nicht mehr konnte. Seine Worte „Ich bin Dynamit“ lassen sich in jedem seiner Werke deutlich erkennen. Leidenschaftlich lehnt er in dem Einen alle Moral ab und fordert, sich individuell und frei eigene Regeln für das Leben zu überlegen. Mit Überzeugung redet er gegen Gott in einer Zeit, in der alle Menschen noch Sonntags in die Kirche gegangen sind. Und fast schon fanatisch veröffentlicht er über dieses ganze Thema eine eigene Konzeption der Bibel. Und man darf nicht vergessen, dass er gar keine philosophische Ausbildung hatte. Und trotzdem stand er auf einer Linie mit all den universitären Philosoph*innen!

 

Konklusion

Was halten wir also von Nietzsche? War er tatsächlich der große Philosoph, für den wir ihn halten? War er einfach nur ein Verrückter? Ich glaube, dass Nietzsche ein von vielen Übeln geplagter Mann war. Was wir aus seinem Leben vor allem lernen können: Versucht, immer das zu tun, was euch Freude macht. Denn sonst ist es vielleicht irgendwann zu spät. Sicherlich nicht so schnell wie bei Nietzsche. Aber man hat nur eine begrenzte Zeit auf der Erde. Wie viel Erfolg und wie viel Geld hatte Nietzsche nicht bei der Philologie! Doch das ist alles wertlos. Wir kennen ihn von seinen philosophischen Werken, die zu seiner Zeit alle fruchtlos waren. Er hat die Sprachwissenschaft nun einmal gehasst und stand nicht dahinter.
Es ist so, als hätte der Philosoph erst sehr spät angefangen, selbst auf seine Philosophie zu hören: Der Mensch ist frei und soll tun, was er will! Es hilft doch nichts, sich durch irgendwelche unrealen Regeln festzuketten! Sei es von der Universität, der Kirche oder der Gesellschaft! Wir sind alles selbstbestimmte Individuen, die am Ende ihr eigenes Leben führen. Und manchmal muss man tatsächlich im eigenen Denken alles verwerfen: Selbst die Wahrheit an sich, wenn man sich bei ihr nicht sicher ist. So machen wir Philosophen es eben. Mit dieser modernen Sicht auf die Dinge hat Nietzsche vielleicht tatsächlich in der falschen Zeit gelebt.
Die Entschlossenheit, mit der er diese Meinung hervorbringt, ist bewundernswert. Auch hier kann man sicher etwas mitnehmen. Wenn man wirklich von etwas überzeugt ist, sollte man es nicht deshalb verstecken, weil es niemand sonst versteht. Manchmal denkt man eben unzeitgemäß, doch dieses Denken ist wertvoll! Es treibt den Diskurs voran. Und vor allem die Philosophie sollte regelmäßig daran erinnert werden, dass sie für alle zugänglich und nützlich sein sollte. Wenn man immer nur Tautologien und schleierhafte Texte von sich gibt, ist niemandem geholfen.
Doch sicherlich hatte auch Nietzsche seine Fehler. Seine Philosophie war bahnbrechend, aber nicht fehlerfrei. Und damit meine ich noch nicht einmal seine eventuellen logischen Fehltritte. Aber gewisse philosophische Erkenntnisse gewinnt man nur im Dialog, in Gesellschaft! Nun war es natürlich nicht nur Nietzsches Schuld, dass er so isoliert war. Klar war er krank und sehr lichtscheu. Aber er hat auch selbst zu seiner Isolation beigetragen, da er ja niemanden sonst hören wollte. Alle Kritik fand er falsch, jede Diskussion unnötig. Nur ist das eben auch ein wichtiger Teil der Philosophie. Ich bin zum Beispiel nicht der Meinung, dass es keine objektive Wahrheit gibt. Auch glaube ich nicht, dass die meisten Wahrheiten dem guten Leben schaden. Ich glaube, dass das Leben durch Wahrheiten nur immer reicher werden kann. Das muss nicht unbedingt stimmen. Aber Nietzsche hat sich damit nie auseinandergesetzt, sondern ist nur seinen eigenen Kurs gefahren. Und so wird die eigene Philosophie natürlich auch nicht reicher. Ihr dürft nie vergessen, dass ihr nicht alleine seid. Den Kampf um die Wahrheit muss man nicht immer nur allein kämpfen. Man findet immer Gleichgesinnte und Freunde. Und zwei Köpfe denken deutlich besser als einer. Je mehr Leute sich gegenseitig dabei unterstützen, ein gutes Leben zu haben, desto besser müsste es ja werden.

Nietzsche hatte mit seinem Satz nicht unrecht. Er war definitiv Dynamit. Dynamit, den die Philosophielandschaft des 19. Jahrhunderts definitiv gebraucht hat. Er war entschlossen und determiniert, der Welt genau das zu sagen, was er gemeint hat. Er war überzeugt davon, allen Menschen helfen zu können, wenn sie nur seiner Philosophie folgen würden. Und bei Vielen hat er das sicher geschafft und schafft es immernoch. Aber Dynamit ist eben ein Sprengstoff. Er explodiert und mischt das gesamte Umfeld ordentlich auf. Doch er tut es allein. Nichts kann daneben bestehen oder ihm helfen. Und ist er einmal explodiert, verschwindet er. So schnell, wie Nietzsche als Philosoph tätig wurde, so schnell war er auch wieder weg. Wenn aber einmal alles explodiert ist, braucht es auch Leute, die es wieder aufbauen. Das brauchen wir auch in der Philosophie. Und ganz allein schafft man das auf jeden Fall nicht.

Und das war meine Folge zu Friedrich Nietzsche! Wie interessant, einmal einen weiteren Einblick in das Leben dieses Philosophen zu bekommen. Sagt mir gern Bescheid, wenn ihr mal wieder einen Folgenwunsch haben solltet.

Lasst gern einen Kommentar da, was ihr denkt! Wenn ihr übrigens gerne die Blogbeiträge in Audioform hören, mich erreichen oder mir vielleicht sogar eine kleine Spende dalassen wollt, findet ihr alle Links dazu in meinem Linktree.

Gut, und das war alles. Macht es gut, einen schönen Tag noch!

 

Quellen

„Friedrich Nietzsche. Ein Kämpfer gegen seine Zeit“ - Rudolf Steiner 

„Ich bin Dynamit! Das Leben des Friedrich Nietzsche“ - Sue Prideaux 

„Zur Genealogie der Moral“ - Friedrich Nietzsche 

„Die fröhliche Wissenschaft“ - Friedrich Nietzsche 

„Also sprach Zarathustra“ - Friedrich Nietzsche

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