#42 Kann man in der Zeit zurückreisen?
Zusammenfassung
Kann man in die Vergangenheit zurückreisen? Einige von euch wissen vielleicht, dass ich schon einmal eine Folge zu dem Thema gemacht habe. Damals ging es darum, ob man in der Zeit zurückreisen sollte, um moralische Untaten rückgängig zu machen. Doch geht das überhaupt? Diese Frage klingt eher nach Physik als Philosophie, ich weiß. Aber wir werden versuchen, uns nur mithilfe der Logik zu einer Antwort zu hangeln. Würde ein logischer Widerspruch oder unlösbares Paradoxon entstehen, wären solche Reisen gar nicht möglich. Was passiert, wenn ich zurückreise und mein jüngeres Ich töte? Gibt es mich dann gar nicht mehr? Aber dann könnte ich es doch auch gar nicht mehr töten! Aber wenn es es dann doch wieder gäbe, dann ja auch mich. Und so weiter. Wenn euch das Thema interessiert, dann hört gerne in meine neue Folge rein! Hallo zusammen und herzlich willkommen zurück zu einer weiteren Folge von „Philosophie für zwischendurch“!
Einleitung
Ich bin wieder zurück!
Wer mir auf Instagram folgt, hat es schon ein paar Tage im Voraus erfahren:
Nachdem ich jetzt 4 Monate keine neue Folge und zweieinhalb Monate keinen
Beitrag mehr auf Instagram gebracht habe, will ich jetzt wieder ein bisschen
regelmäßiger Content bringen! Meine kleine Frühlingspause hatte ehrlich gesagt
gar keinen konkreten Grund: Ich bin irgendwie einfach nicht reingekommen neben
dem Start meines neuen Semesters und viele meiner Folgenideen haben mich nicht
gleich so sehr abgeholt. Naja, ich werde jedenfalls versuchen, in der Zukunft
keine so langen Pausen mehr zu machen.
Eine kleine Sache übrigens
noch: Ich habe neulich gesehen, dass mir einige Leute Fragen über die
Kommentarfunktion auf Spotify gestellt haben. Das könnt ihr natürlich gerne
machen, aber: Ich kann über Spotify nicht direkt auf Kommentare
antworten, weil das eigentlich eine Q&A-Funktion und kein Forum ist. Wenn
ihr Feedback zu meiner Folge dalassen wollt oder noch einen kurzen Gedanken
dazu habt, lasse ich das gern einfach so stehen und pinne es an. Schließlich
sollen alle etwas davon haben. Für größere Fragen, auf die ich auch antworten
soll, habe ich aber eher meine Podcastmail und meinen Insta, was ihr beides in
der Beschreibung findet. Ich baue zwar manchmal Fragen in eine Folge ein, aber
erstens dauert das natürlich, weil ich nicht so oft hochlade und zweitens mache
ich das auch nur, wenn es sich anbietet. Die FAQ-Folge wiederhole ich
vielleicht irgendwann noch einmal, aber bis dahin werden schon noch einige Monate
vergehen. Also: Vielen Dank für eure Fragen, aber stellt sie mir gern nochmal
über die Mail oder Instagram, wenn ihr eine direkte Antwort wollt.
Gut. Was machen wir denn
heute? Ich möchte in dieser Folge mit euch über Zeitreisen in die Vergangenheit
reden. Einige von euch erinnern sich vielleicht: Ich habe schon einmal eine
Folge darüber gemacht, und zwar mit der moralischen Komponente. Damals war die
Frage, ob man in der Zeit zurückreisen darf oder es muss, um moralisch falsche
Taten zu verhindern. Mehr dazu könnt ihr in der Folge „#23 Life is Strange:
Sollte man Zeitreisen?“ hören. Dann habe ich eine Folge namens: „#40 Dark: Was
ist Zeit?“ herausgebracht. Damals haben wir besprochen, welche Struktur die
Zeit im Allgemeinen hat und auch das Thema der Zeitreise diskutiert. Immerhin
ging es in der Serie „Dark“ darum. Hört auch gern dort noch einmal rein. Was
wir aber nicht besprochen haben, ist die Frage, ob Zeitreisen überhaupt möglich
sind. Ich weiß, was ihr sagen wollt: Das klingt eher wie eine physikalische
Frage. (Ganz im Gegensatz zur Frage meiner 23. Folge.) Man denkt von der
Philosophie oft, dass sie sich nur mit Eventualitäten beschäftigt: „Wenn etwas
möglich wäre, wie sollte es aussehen?“ Ob Dinge auch tatsächlich auf unserer
Welt funktionieren, scheint eher eine Frage der Naturwissenschaften zu sein.
Und ja, man kann zur Zeitreise auch physikalische Untersuchungen anstellen, die
bei der Philosophie nicht möglich wären. Fakt ist, dass wir Dank der
Relativitätstheorie wissen, dass es möglich ist, in die Zukunft zu reisen. Aber
das ist nicht wirklich mein Gebiet, vielleicht wissen da die Physiker:innen
unter euch mehr. Der Punkt ist, dass Reisen in die Vergangenheit bisher noch
nicht physikalisch durchführbar sind. Einige Forscher:innen in dem Gebiet sagen
auch, dass sie generell unmöglich sind.
Und hier setzt die Metaphysik an: Sind Zeitreisen in die Vergangenheit logisch
unmöglich? Die Logik ist das Instrument der Philosophie, das sonst keine
Wissenschaft in dem Ausmaß benutzt. Deshalb finden Außenstehende die
Philosophie oft unwissenschaftlich, weil sie sich nicht auf empirische Befunde
stützt. (Über dieses Problem habe ich übrigens auch einmal eine Folge gemacht,
die Nr. 7 mit dem Namen „Wozu brauchen wir die Philosophie?“) Aber es gibt nun
einmal noch keine Empirie zu dem Thema der Zeitreisen in die Vergangenheit. Es
geht auch nicht darum, einen Weg zu finden, in der Zeit zurückzureisen,
sondern darum, herauszufinden, ob sich ein logischer Widerspruch ergeben würde,
wenn man das könnte. Denn wenn das der Fall wäre, wären solche Reisen nicht
möglich und sie könnten nicht erfunden werden. Dann können wir uns auch die
Forschungsgelder sparen.
Das logisch Mögliche und
Unmögliche
Ein kleiner Schwenk noch
auf das logisch Mögliche. Warum ist das so ein wichtiger Faktor?
Nehmen wir ein Beispiel. Eine Aussage, egal welche, kann logisch möglich sein,
physikalisch und biologisch. In Wahrheit gibt es natürlich hunderte von
Faktoren mehr, aber belassen wir es einmal dabei.
Es gibt da zum Beispiel die Aussage: „Ein Mensch kann 10km/h schnell joggen.“ Diese
Aussage ist auf mehreren Ebenen wahr. Zunächst ist sie logisch gesehen
zulässig: Jemand kann sich 10km/h schnell bewegen, dadurch entsteht kein
Widerspruch oder Paradoxon. Physikalisch ist das auch möglich: Etwas kann sich
in dieser Geschwindigkeit bewegen, wenn der richtige Antrieb und die richtigen
Kräfte existieren und wirken. Die biologische Ebene bestätigt das auch: Ich
habe als Mensch die Möglichkeit, mich aus eigener Kraft 10km/h schnell
fortzubewegen. Von daher ist dieser Satz auch wahr und in unserer Welt
anwendbar.
Jetzt wandeln wir den Satz ab, sodass er praktisch gesehen nicht mehr stimmt: „Ein
Mensch kann 300km/h schnell joggen.“ Zunächst ist das ganz offenbar falsch.
Aber wenn wir von oben heruntergehen, nicht direkt: Logisch gesehen spricht
nichts dagegen, dass ein Mensch so schnell rennt. Das wurde zwar noch nie
gesehen, aber wenn das eines Tages plötzlich gehen würde, würde sich kein
Widerspruch ergeben. Physikalisch gesehen ist das auch nicht ausgeschlossen. Es
gibt immerhin Motorräder, die so schnell fahren, das heißt, dass sich eine
Geschwindigkeit von 300km/h nicht mit den physikalischen Gesetzen der Erde
schneiden würde. Aber biologisch gesehen wissen wir natürlich, dass ein Mensch
von sich aus nicht die Kraft aufbringen kann, sich so schnell zu bewegen. Von
daher sagen wir, dass das nicht stimmt. Dennoch ist es nicht auf allen Ebenen
unmöglich.
Ebenso der nächste Satz: „Ein Mensch kann sich schneller als das Licht bewegen.“
Logisch gesehen wäre auch das nicht paradox. Der Satz an sich wirft
keine Widersprüche auf: Es wäre eben eine sehr hohe Geschwindigkeit. In der
Physik gibt es darüber noch Diskussionen, aber man scheint sich im Allgemeinen
recht sicher zu sein, dass sich nichts schneller bewegen kann als das Licht. Es
stößt sich ganz einfach mit gewissen Naturgesetzen – zumindest, soweit ich
weiß. Über die biologische Komponente müssen wir hier natürlich nicht sprechen.
Auch dieser Satz, würden wir sagen, ist falsch, aber sogar noch falscher als
der davor.
Die logische Komponente ist recht großzügig mit unseren Aussagen, nicht wahr?
Das liegt einfach daran, dass unglaublich viele Dinge vorstellbar, theoretisch
möglich und erforschbar sind. Es gibt tatsächlich nicht Vieles, von dem sich
sagen lassen würde, es wäre auf allen Ebenen unmöglich und könnte nie
auftreten. Wenn aber eine Sache auf logischer Ebene schon nicht funktioniert,
dann muss man gar nicht erst nach den anderen Möglichkeiten fragen, denn sie
sind untergeordnet. Ähnlich wie die biologische der physikalischen: Wenn ein
Mensch schon aufgrund von physikalischen Gesetzen nicht schneller als das Licht
sein kann, dann kann es seine Biologie auch nicht leisten. Man kann nun diesen
Satz auch so verändern, dass er logisch unmöglich wird: „Ein Mensch kann
gleichzeitig schneller und langsamer als das Licht sein.“ Dieser Satz ist
logisch unmöglich, weil man sich immer nur in einer Geschwindigkeit auf einmal
bewegen kann. Und sie muss zwingend entweder höher oder niedriger sein als die
des Lichts. Und das heißt auch, dass keine Maschine erfunden werden kann, die
das ermöglichen würde, weil es schlicht und einfach nicht geht.
Und hiermit kommen wir zurück zur Zeitreise: Sollten wir herausfinden, dass es
logisch unmöglich ist, in der Zeit zurückzureisen, können wir das auch
physikalisch oder biologisch nicht. Sie ist zwar nicht automatisch
durchführbar, wenn sie logisch zulässig ist, aber es ist dennoch ein kleiner
Fortschritt in dieser großen Frage.
So, nachdem ich jetzt lange um den heißen Brei geredet habe: Kann man in der
Zeit zurückreisen?
Was ist eine Zeitreise?
Ich denke, bevor wir das
klären, muss der Begriff der Zeitreise in die Vergangenheit etwas genauer
definiert werden. Fast jede philosophische Literatur zu dem Thema, die wir
verwenden werden, bedient sich an demselben populären Modell für Zeitreisen:
Eine Reise in die Vergangenheit bedeutet, dass eine Person innerhalb eines
gewissen Zeitraums oder sofort in eine Zeit reist, die auf dem Zeitstrahl vor
der liegt, von der sie abgereist ist. Man setzt sich also zum Beispiel im Jahr
2020 in eine Zeitmaschine und landet entweder sofort danach oder nach einer
beliebigen Zeit wie zum Beispiel 15 Minuten im Jahr 2010.
Während einer solche Reise altert man nicht gemessen an der Zeit, die man
zurückreist, sondern nach der, die man während der Reise verbringt. In unserem
Beispiel wäre man also nach der Reise nicht 10 Jahre jünger, sondern 15 Minuten
älter. Auch sonst ist vorgesehen, dass man nach der Reise noch immer dieselbe
Person ist wie davor. (Zumindest im Großen und Ganzen. Das Problem der
Identität wird in der Philosophie noch immer sehr stark debattiert. Dazu habe
ich übrigens auch eine Folge gemacht, sie heißt: „#09 Bleiben wir immer
dieselbe Person?“)
Es gibt einen weiteren Punkt, der zwar offensichtlich erscheint, aber sehr
wichtig ist, wie ihr gleich sehen werdet: In der Zeit, die man ansteuert, also
in dem Beispiel 2010, hat man genau dieselben logischen Möglichkeiten wie bei
der Abreise in 2020. Man kann sich also frei bewegen, mit jedem reden und alles
tun, was man im Rahmen der damaligen Möglichkeiten eben tun konnte. Es gibt
keine Regeln, wie, dass man keinen Kontakt zur Außenwelt haben kann und auch
keine unsichtbare Wand, die einen von seinem früheren Ich trennt.
Gut, so viel dazu. Mehr brauchen wir tatsächlich auch gar nicht, im Grunde ist
das die Zeitreise in die Vergangenheit, wie man sie sich vorstellt und wie sie
debattiert wird. Also, drei wichtige Punkte. Erstens: Man reist an einen
beliebigen Punkt in der Vergangenheit. Zweitens: Man altert nicht je nach Reiseziel,
sondern Reisedauer und drittens: Man hat an seinem Ziel dieselben logischen
Möglichkeiten wie bei der Abreise.
Das Paradoxon der
zeitlichen Diskrepanz
Ich möchte euch zunächst
einen Skeptiker von Reisen in die Vergangenheit vorstellen: Den Philosophen
Dennis Charles Holt. Nach ihm scheitern Zeitreisen an unserer ersten und zweiten
Bedingung: Man setzt sich in eine Zeitmaschine, befindet sich 15 Minuten darin
und landet dann 10 Jahre in der Vergangenheit. Es klingt wie eine sehr simple
und offensichtliche Beschreibung für Zeitreisen, aber es ergibt sich daraus das
Problem der zeitlichen Diskrepanz.
Was hat es damit auf sich?
Nun, zunächst einmal wissen wir alle, dass unser Zeitstrahl eigentlich nur in
eine Richtung und nicht nach hinten geht. Wie wäre es vorstellbar, dass eine
Person in der Zeit nach hinten geht, während alle anderen weiter nach vorne
schreiten?
Und selbst wenn man das als selbstverständlich abtun sollte, bleibt die Frage,
wieso eigentlich für die zeitreisende Person die Zeit anders als an ihrem Ziel
vergeht. Die zeitreisende Person sieht ihr Ziel nämlich als Vergangenheit an,
während es für die Menschen dort Gegenwart ist. Das bringt das objektive
Zeitkonzept komplett durcheinander. Dazu sage ich auch etwas in meiner Folge
über die Zeit.
Das größere Paradoxon ist aber das folgende: Wenn man davon ausgeht, dass
jemand innerhalb von 15 Minuten 10 Jahre in die Vergangenheit reist, dann ist
diese Person gleichzeitig 15 Minuten in der Zukunft und 10 Jahre in der
Vergangenheit. Während man sich nämlich im vergangenen 2010 befindet, verhält
sich der Körper, als wäre man noch in 2020. Denn man altert anders als die
Menschen am Ziel: Man müsste 10 Jahre jünger sein, wenn man 10 Jahre in die
Vergangenheit reist, wie wir aber schon gesagt haben, entspricht das nicht
unserem Bild einer Zeitreise. Dieses Paradoxon verstärkt sich durch die Art,
wie über eine solche Reise geredet werden würde. Menschen, die bei der Abreise
der Person in 2020 dabei waren, würden zum Beispiel so etwas sagen wie: „Er ist
jetzt in der Vergangenheit“ oder: „Er ist in 15 Minuten 10 Jahre in der
Vergangenheit“, was ganz offensichtlich keinen Sinn ergibt. Wir sagen
schließlich auch nicht, dass Sokrates jetzt gerade um die 2500
Jahre in der Vergangenheit seine Verteidigungsrede vor dem Athener Gericht
hält. Vielmehr würden wir sagen, dass er sie damals gehalten hat, Punkt.
Man kann eben mit dem eigenen Körper nur entweder in der Zukunft, Gegenwart
oder Vergangenheit sein. Es geht aber nicht, in der Vergangenheit zu leben, aber
im Rhythmus der Gegenwart altern. Durch diese Diskrepanz, so Holt, sind
Zeitreisen in die Vergangenheit unmöglich.
Die zeitliche Diskrepanz
als normale Bedingung
Ok, ich hoffe, ihr seid
noch bei mir. Ich weiß, das ganze Thema ist etwas verwirrend. Aber im Grunde
argumentieren wir hier bisher nur um die erste und zweite Bedingung der
Zeitreise in die Vergangenheit herum: Man reist in die Vergangenheit, altert
aber noch im Rhythmus der eigenen Gegenwart.
Und an dieser Stelle kommt der Philosoph David Lewis ins Spiel, der versucht,
dieses Paradoxon aufzulösen. Auch wenn er Zweifel an der physikalischen
Komponente hat, hält Lewis Zeitreisen in die Vergangenheit nicht für logisch
unmöglich. Dabei erkennt er aber an, dass das Problem der zeitlichen Diskrepanz
entsteht und auch das Bild, dass es nur einen Zeitstrang gibt, auf dem
man zurückreisen würde.
Der Philosoph hält die zeitliche Diskrepanz aber nicht für ein unauflösbares
Paradoxon der Zeitreise, sondern nur als eine Merkwürdigkeit, die erklärt
werden kann. Nach Lewis handelt es sich hierbei um ein sprachliches Hindernis,
da wir eigentlich über 2 verschiedene Arten von Zeit sprechen. Bei einer
Zeitreise werden zwei Zeiten aufgespalten, die normalerweise genau gleich
verlaufen: und zwar die persönliche und externe Zeit.
Die persönliche Zeit ist die, die für einen selbst bei einer Zeitreise vergeht.
Das sind zum Beispiel diese 15 Minuten, die man braucht, um von 2020 nach 2010
zu reisen. Und diese Art von Zeit ist es auch, um die man altert. Lewis sagt,
dass das die Zeit ist, die die Armbanduhr des oder der Zeitreisenden anzeigen
würde.
Die externe Zeit beschreibt dagegen die 10 Jahre, die man zurückreist. Und
während man in der einen Zeit altert, hat die andere keine äußerlichen
Auswirkungen auf einen.
Es handelt sich eben um eine Merkwürdigkeit, da wir nicht daran gewöhnt sind,
so über die Zeit zu sprechen. Normalerweise verlaufen beide Arten komplett
gleich, weil man passend zur externen Zeit altert. Es ist aber dennoch immer
die persönliche Zeit, um die wir altern. Diese Art, über Zeitreisen zu reden, mag
komisch wirken, ist aber nicht widersprüchlich. Wenn man sagt, dass sich jemand
in 15 Minuten 10 Jahre in der Vergangenheit befindet, meint man, dass die
Person sich innerhalb von 15 Minuten persönlicher Zeit 10 Jahre in der
Vergangenheit nach externer Zeit befindet. Das sind zwei
unterschiedliche Messungen. Und Sokrates hält nicht jetzt gerade seine
Rede vor dem Gericht, denn er war kein Zeitreisender und seine persönliche Zeit
ist genau passend zur externen in 399 v. Chr. abgelaufen. Nach Lewis ist die
zeitliche Diskrepanz bei Zeitreisen in die Vergangenheit also ein Thema, das
erklärt werden sollte, aber kein unlösbares Paradoxon.
Das Paradoxon des
Retrosuicide
Wenden wir uns einem
anderen Thema zu. Ihr erinnert euch sicher, dass ich als dritte Bedingung einer
Zeitreise in die Vergangenheit genannt habe, dass man zu jeder Zeit dieselben
logischen Möglichkeiten wie in der Gegenwart hat. Man kann mit jedem reden und
jeden sehen, den man sehen will. Entsprechend der Umstände sind einem also
dieselben Möglichkeiten wie immer gegeben. Das wirft aber die Frage auf: Was
passiert, wenn ich durch meine Handlungen in der Vergangenheit den Verlauf der
Zeit manipuliere? Das wirkt zunächst, als wäre es eine logische Konsequenz,
aber der Philosoph Peter Vranas nennt einen Fall, in dem sich dadurch ein
Paradoxon ergeben würde.
Nach Vranas gilt, dass man nach den genannten Regeln in der Vergangenheit auch
eine jüngere Version von sich selbst finden und töten könnte. Und hier entsteht
das Paradoxon. Vranas benutzt das Wort „retro-suicide“ dafür, das ich ganz
einfach unübersetzt übernehmen werde. „Retrosuicide“ ist der Mord an einer
jüngeren Version seiner selbst während einer Zeitreise in die Vergangenheit.
Das große Problem beim Retrosuicide ist eben, dass sich die Frage stellt, ob
man ihn durchführen könnte oder nicht. Eigentlich dürfte dem nichts im Wege
stehen, denn wie wir gesagt haben, hat man auch in der Vergangenheit weiterhin
alle logischen Möglichkeiten wie davor. Stellt es euch vor, wie wenn man an
einen anderen Ort reisen würde. Wenn ich nach Spanien fliege, kann ich dort
ebenso Morde begehen wie hier. Und so könnte die Person in unserem Beispiel
nach 2010 reisen und das 10 Jahre jüngere Ich auffinden. Vielleicht würde man
in der Nacht an seinen alten Wohnort heranschleichen und einbrechen, da man das
Gebäude genau kennt. Man könnte sich auch sicher davor oder in der Küche eine
Waffe beschaffen und dann das Ich in dessen Bett finden. Das sind alles Sachen,
die funktionieren müssten.
Aber wäre es wirklich so einfach? Denn, wenn man das Ich umbringen würde, würde
es nicht mehr zu einem heranwachsen können, das heißt, man hätte den Lauf der
Zeit manipuliert. Plötzlich würde es gar keine Version mehr von einem geben,
die 10 Jahre älter ist, weil man 2010 in seinem eigenen Haus gestorben wäre.
Aber wenn es diese Person dann nicht mehr gibt, hätte man sie das jüngere Ich wiederum
nicht umbringen können. Da es dadurch wieder existieren würde, würde man selbst
es auch tun. Und so weiter. Es ergibt sich ein ewiger Kreislauf.
Letzten Endes kann das jüngere Ich nicht sterben, aber auch nicht leben. Stirbt
es, stirbt man auch. Da man aber der Grund von dessen Tod ist, würde es wieder
leben, damit man selbst aber auch. Man kann es also gleichzeitig umbringen und
nicht umbringen. Jedoch ist es unmöglich, etwas gleichzeitig zu können und
nicht zu können.
Aus diesem Grund heißt es oft, eine Zeitreise in die Vergangenheit wäre
unmöglich. Denn wenn man zurückreisen könnte, wäre die Möglichkeit eines
Retrosuicide automatisch eröffnet und da dieser in einem Paradoxon endet, kann
sie nicht entstehen. Es ist wie ich eingangs gesagt habe: Es ist logisch
unmöglich, sich gleichzeitig über und unter der Lichtgeschwindigkeit zu
bewegen, also kann auch nichts erfunden werden, was das bewerkstelligen könnte.
(Wobei ich hinzufügen will, dass Vranas selbst das nicht sagt, sondern nur
diese Position darstellt.)
Die Unmöglichkeit des
Retrosuicide
David Lewis hat aber auch
darauf eine Antwort. Er sagt nämlich ganz einfach, dass Veränderung in der
Vergangenheit nicht funktionieren: Und damit wäre auch kein Retrosuicide
möglich. Wie ist das aber mit unserer dritten Bedingung vereinbar? Hat man
nicht nach seiner Zeitreise dieselben logischen Möglichkeiten wie davor?
Lewis spricht in seinem Text nicht vom Retrosuicide, weil er das Beispiel noch
nicht gekannt hat. Was er aber als Beispiel nimmt, ist das Großvaterparadoxon.
Wir befinden uns im Jahre 1951 bei einem 20-Jährigen Mann namens Tim und dessen
80-jährigen Großvater, der durch den Verkauf von Schusswaffen reich geworden
ist. Tim hat durch diesen Umstand sämtliche Waffenlizenzen, die man als Normalbürger
bekommen kann, vollen Zugriff auf alle Waffen seines Großvaters und jahrelange
Übung als Schütze.
Das Problem aber: Tim hasst seinen Großvater abgrundtief, und zwar so sehr,
dass er ihn am liebst umbringen würde. Doch während Tim manisch Pläne schmiedet,
stirbt sein Großvater bereits im selben Jahr an Altersschwäche. Eigentlich
würde man annehmen, dass sich Tim über die Nachricht freut, wenn er ihn denn so
gehasst hat. Doch der Hass ist in Lewis‘ Beispiel so verwurzelt, dass Tim eher
enttäuscht ist, dass er es nicht selbst hat tun können. Getrieben von diesem
Frust entwickelt er bis zum folgenden Jahr, also 1952, eine Zeitmaschine, um
doch Rache üben zu können. (Es ist wirklich ein bisschen eine krasse
Geschichte, ich weiß. Aber damit die Paradoxien der Zeitreise offensichtlich
werden, ist der Mord das einfachste Beispiel.) Jedenfalls entscheidet Tim sich
dazu, nicht nur ein Jahr, sondern 31 Jahre in die Vergangenheit zu reisen,
damit sein jüngeres Ich nicht mehr allzu viel Zeit mit dem Großvater würde
verbringen müssen. Er geht also zurück ins Jahr 1921, in dem sein Großvater 50
war. Mit seinem Wissen über die Familiengeschichte, seinen Geburtsort und die
Waffenlizenzen macht Tim seinen Großvater schnell ausfindig, wie er auf der
Straße entlangläuft, findet eine passende Waffe, einen taktischen Ort an einem
Fenster, zielt, und drückt ab.
Und nun wieder die Frage: Was passiert? Es ist bei Lewis nicht geklärt, ob Tim
auch seine eigene Existenz beenden würde, wenn er schießen würde, weil man
nicht weiß, ob seine Eltern da schon geboren sind. Das spielt aber keine Rolle,
denn der Philosoph macht klar, dass Tim allein deshalb seinen Großvater nicht
töten kann, weil er 1951 noch lebt und erst dann stirbt. Man kann nicht zweimal
sterben und es steht fest, dass es bei dem Großvater die Altersschwäche sein
wird.
Aber: Wie kann das sein? Denn Tim scheint den Mord durchaus durchführen zu
können: Er hat den richtig Ort, die Übung und die richtige Gesinnung,
abzudrücken. Doch wir reden hier von zwei verschiedenen Ebenen der Möglichkeit.
Erinnert euch an mein Beispiel mit der Logik und Physik. Nach den engeren,
physikalischen Fakten kann Tim seinen Großvater tatsächlich töten. Er ist
schließlich nicht unsterblich und in den 30 Jahren bis 1951 hätte alles
passieren können.
Jedoch ist es eben das: Er ist ganz einfach vor 1951 nicht gestorben. Es
ist wie in einem Buch: Wenn eine Person auf Seite 100 stirbt, dann ist das
immer auf dieser Seite passiert, egal, wie lange man herumblättert. Das heißt
aber nicht, dass die Person in der gesamten Geschichte bis dahin unsterblich
war oder in keiner Gefahr. Es können aber eben alle nur einmal sterben und bei
dieser Person war es eben auf Seite 100 soweit. Tims Großvater ist 1951
gestorben. Und so ist es logisch unmöglich, ihn davor zu töten, wenn auch nicht
physikalisch oder biologisch.
Und so kann man sagen: „Tim kann seinen Vater auf der einen Seite töten und auf
der anderen nicht“, ohne einen Widerspruch zu kreieren.
Um aber noch einmal auf das Großvaterparadoxon zurückzukommen: Was passiert
denn nun mit Tim? Ganz simpel: Er tötet seinen Großvater nicht. Was konkret
passiert, könnt ihr euch aussuchen: Entweder verzieht seine Waffe, er wird
entdeck, hat Zweifel, oder zögert und verpasst seine Chance. Was wir wissen,
ist, dass der Großvater in 1921 nicht stirbt.
Und dann sieht der Zeitstrahl folgendermaßen aus: Irgendwann im Jahre 1921 wird
der Großvater von einem fremden Mann mit einer Waffe anvisiert. Diese Person trifft
aber nicht, zögert oder wird erwischt. Dann, 10 Jahre später wird Tim geboren,
lernt über die Zeit, seinen Großvater zu hassen und reist 1952, ein Jahr nach
dessen Tod, in die Vergangenheit, um ihn zu töten.
Es ergibt sich also kein Paradoxon, denn alle Ereignisse sind bereits
unabänderlich abgeschlossen und werden nicht korrigiert. Das allein ist nämlich
unmöglich und da kommen wir wieder zu unserer Bedingung. Wir haben gesagt, dass
eine Person in einer anderen Zeit dieselben logischen Möglichkeiten wie davor
hat. Nur gehört nach Lewis eben nicht dazu, die Zeit zu ändern, weil das eben unmöglich
ist. Es gibt viele Dinge, die wir auch jetzt nicht tun und deshalb nie getan
haben werden und nicht ändern können. Aber wir sind uns außerhalb der Zeitreise
diesen Grenzen unserer Realität natürlich nicht bewusst. Deshalb fallen sie uns
nur dann auf, was aber nicht heißt, dass wir sie plötzlich brechen können.
Und damit ist auch der Retrosuicide vom Tisch, weil wir zwar das jüngere Ich
töten könnten, es aber offenbar nicht getan haben: Sonst gäbe es uns nicht.
Das multidimensionale
Zeitenmodell
Ok Leute, eine letzte
Theorie der Zeitreisen will ich euch noch zeigen, bevor wir einmal
zusammenfassen und zum Fazit übergehen. Denn der Philosoph Jack Meiland ist
nicht überzeugt von der vorangegangenen Diskussion. Und zwar auf beiden Seiten:
Er hält auf der einen Seite das Problem der zeitlichen Diskrepanz nicht nur für
ein sprachliches, das man so lösen kann, wie Lewis es getan hat. Schließlich
hat man noch immer das Phänomen, dass eine Person anders altert als die
Menschen der Zeit, in die sie reist. Es ist auch noch immer etwas unplausibel,
dass jemand auf einem Zeitstrang zurückreist, während der Rest nach vorne
rückt. Aber an der Zeitreise möchte Meiland trotzdem festhalten. Er findet
nicht wie Lewis, dass man nichts an der Vergangenheit ändern können sollte,
weil das gar nicht mehr mit unserem Bild der Zeitreise übereinstimmen würde.
Was ist denn der Sinn einer Zeitreise, wenn man nichts verändern kann? Und tut
man das nicht schon allein durch seine Anwesenheit? Jedoch sieht Meiland auch
ein, dass man auf einem einfachen Zeitstrang nichts verändern kann, ohne
Paradoxien auszulösen.
Also präsentiert er in seinem Text ein eigenes Konzept der Zeit und den Reisen
darin: Das multidimensionale Zeitenmodell. Wie funktioniert das?
Nehmen wir unser Beispiel, das sich etwas durch diese Folge zieht. Wenn jemand
im Jahre 2020 10 Jahre zurückreist, landet dieser Jemand im Jahr 2010. So weit,
so gut. Aber Meiland meint, dass diese Person eben nicht in dem 2010
ankommt, das sie vor 10 Jahren schon einmal durchlebt hat, sondern in dem einer
anderen Dimension. Das ist notwendig, da das eigentliche 2010 keine zeitreisende
Person beinhaltet hat und sonst verändert werden würde. In dieser anderen
Dimension ist nun im Grunde alles so, wie es die zeitreisende Person in ihrer
eigenen Zeit vorgefunden hat. Jedoch sind alle Leute, die sie zu kennen glaubt,
nicht dieselben, sondern nur sehr ähnliche Versionen davon. In dieser Dimension
ist das Jahr 2010 auch zum ersten Mal passiert, also sind alle Veränderungen
einfach möglich. Selbst Retrosuicide wäre möglich, wenn man daran Spaß hat,
eine Person umzubringen, die aussieht wie man selbst vor 10 Jahren. Es ist im
Grunde genau die Zeitreise, wie wir sie uns vorstellen: Eine Version unserer
Vergangenheit, in der wir alles tun und verändern können, genau passend nach
unseren Bedingungen.
Auch das Problem der zeitlichen Diskrepanz wäre beseitigt, denn die Person wäre
nicht mehr gleichzeitig in der Gegenwart und Vergangenheit. Sie würde von der
Gegenwart in eine andere Dimension reisen und wäre damit auf dem ursprünglichen
Zeitstrahl nicht mehr existent. Zu sagen, dass jemand gerade in einer anderen
Dimension ist, ist deutlich weniger paradox, als wenn die Person in einer
anderen Zeit wäre.
Auch kann so man die Regeln der Logik aufrechterhalten: Selbst wenn man
theoretisch etwas an der Vergangenheit verändert, weil man in eine Dimension
reist, in der alles möglich ist, kann man auch dort nichts korrigieren.
Man kann nicht innerhalb von einer Dimension zurückreisen und die Ereignisse
manipulieren. Denn das würde wiederum die Paradoxien aufwerfen. Man ist also
noch immer in der Situation, dass man normal handelt, wie Lewis gesagt hat. Nur
hat man einiges Vorwissen, da man diese Vergangenheitsversion sehr gut kennt.
Dieses Modell gibt einem also die Möglichkeit, allen Paradoxien zu entkommen
und sogar Raum für Veränderungen in der Vergangenheit zu lassen. Jedoch ist der
Ansatz in der Philosophielandschaft nicht sonderlich beliebt. Er tut zwar, was
er verspricht, löst aber erstens weitere Paradoxien aus und ist etwas
ausufernd. „Ontologisch wenig sparsam“ oder „- verschwenderisch“ sagen
Philosoph:innen bei solchen Theorien auch oft. Denn es fällt bereits schwer
genug, an die Zeitreise auf dem einfachen Zeitstrahl zu glauben und
dafür zu argumentieren. Aber Meiland geht hier auch noch von scheinbar
unendlichen Dimensionen und Zeitsträngen aus, die alle an sich auch noch
bewiesen werden müssen.
Außerdem entfernt sich diese Theorie mehr von unserem Bild der Zeitreise als
sie behauptet: Wir haben doch eigentlich die Vorstellung, auf unserem eigenen
Zeitstrahl zurückzureisen und die Leute zu treffen, die wir kennen. Nicht
irgendwelche Versionen von ihnen einer anderen Dimension. Wenn ich mein
jüngeres Ich töte, gehe ich von einem Paradoxon aus und das muss gelöst, nicht
umgangen werden.
Endstand
So, jetzt fassen wir noch
einmal kurz zusammen, bevor wir zum Fazit kommen. Die Frage dieser Folge ist:
„Kann man in der Zeit zurückreisen?“ Und was man in der Philosophie tut, um
diese Frage zu beantworten, ist, dass man analysiert, ob sich dadurch logische
Widersprüche oder Paradoxien ergeben würden. Denn wenn ja, dann geht es nicht.
Dazu haben wir uns zuerst überlegt, was eine Zeitreise in die Vergangenheit ist
und 3 grundlegende Bedingungen herausgearbeitet: Eine solche Zeitreise muss
logischerweise immer in die Vergangenheit gehen, also irgendwo auf den
Zeitstrahl hinter der Abreise. Sie kann dabei entweder sofort passieren oder
einige Zeit brauchen. Unser Beispiel war hier ja die Reise von 2020 nach 2010,
die 15 Minuten dauert. Dabei altert die reisende Person nur nach der Reisezeit
von 15 Minuten, nicht aber nach der gereisten Zeit von minus 10 Jahren.
Zu einer Zeitreise gehört außerdem, dass man bei seinem Ziel den genau gleichen
logischen Möglichkeiten und Einschränkungen unterworfen ist wie bei der
Abreise.
Danach haben wir uns überlegt, wie wir das Problem der zeitlichen Diskrepanz
gelöst bekommen. Wie der Philosoph Dennis Charles Holt nämlich meint, ist es
paradox zu sagen, dass eine Person gleichzeitig 15 Minuten in der Zukunft und
10 Jahre in der Vergangenheit ist. Während wir über eine solche Person also
paradoxerweise sagen würden, sie wäre jetzt gerade in der Vergangenheit,
wäre dieser Satz über jeden anderen Menschen, der nicht zeitreist, sinnlos.
Auch stellt sich die Frage, wie es sein kann, dass jemand im Rhythmus der einen
Zeit altert, sich aber in der anderen befindet.
Der Philosoph David Lewis sieht die zeitliche Diskrepanz aber nicht als
Paradoxon, sondern nur als Merkwürdigkeit einer Zeitreise. Er sagt, dass wir
hier über zwei verschiedene Zeiten reden: Die persönliche und die externe, die
normalerweise im Einklang vergehen. Während die persönliche Zeit nämlich diese
15 Minuten darstellt, die man altert und während der Reise verbringt, reist man
10 externe Jahre zurück. Damit ist man nicht gleichzeitig zukünftig und
vergangen, sondern kann unter zwei verschiedenen Zeitmessungen betrachtet
werden. Damit ist es auch nicht paradox zu sagen, dass jemand momentan in der
Vergangenheit ist und kann nicht damit verglichen werden, das über eine Person
zu sagen, die nicht in der Zeit gereist ist und deren persönliche und externe
Zeit gleich verlaufen sind.
Dann haben wir uns dem Problem des Retrosuicide zugewandt. Der Philosoph Peter
Vranas bringt dieses Problem auf, da man schließlich nach unseren Regeln in der
Vergangenheit alle logischen Möglichkeiten wie in der Gegenwart haben sollte.
Damit sollte es auch möglich sein, das eigene jüngere Ich in der Vergangenheit
zu töten. Nur ist das paradox, weil man dadurch die eigene Existenz beenden und
in einen Kreislauf kommen würde, in dem man gleichzeitig das jüngere Ich töten
und nicht töten könnte. Da sie immer diese Möglichkeit eröffnen würden, müssten
Zeitreisen folglich unmöglich sein
David Lewis hat aber auch darauf eine Antwort: Und zwar, dass Veränderungen in
der Vergangenheit wie auch der Retrosuicide auf einer höheren Ebene unmöglich
sind. Nicht, weil man sich dann auflösen würde, sondern weil jede Veränderung
an der Vergangenheit eine Korrektur des bereits Geschehenen darstellen würde.
Und das ist logisch unmöglich. Dennoch bleibt die theoretische Möglichkeit auf
einer gewissen Ebene. Es stimmt noch immer, dass man sich frei bewegen kann,
wie auch in der Herkunftszeit. Ein Mord ist definitiv unter den physikalisch
möglichen Handlungen. Es ergibt sich jedoch kein Widerspruch, wenn man sagt,
dass etwas zwar physikalisch möglich wäre, aber logisch unmöglich.
Schließlich haben wir über Jack Meiland gesprochen, der alle diese Überlegungen
verwirft und ein Zeitkonzept entwickelt, in dem man zurückreisen kann, dem
Paradoxon der zeitlichen Diskrepanz und des Retrosuicide entkommt und
Veränderungen in der Vergangenheit vornehmen kann, ohne logische Widersprüche
zu begehen. Es ist das multidimensionale Zeitenmodell, in dem man bei einer
Reise von 2020 nach 2010 in ein 2010 einer anderen Dimension kommt, in alle
bekannten Bedingungen identisch sind, ohne jedoch dasselbe 2010 zu sein. Das
ermöglicht es einem, in dieser anderen Dimension frei ohne Paradoxien zu handeln,
weil es das eigene jüngere Ich dort nicht gibt. Auch erhält Meiland
hierbei aufrecht, dass sich jeder Zeitstrang der einzelnen Dimensionen in sich
nicht ändert, also nicht korrigiert werden kann.
Dieses Modell finden aber viele Philosoph:innen etwas unplausibel, weil es sehr
ausufernde Annahmen macht und sich doch wieder recht weit von unserer
Vorstellung von Zeitreisen entfernt.
Fazit
So, was machen wir jetzt
mit diesen ganzen Theorien? Es ist ja schon wieder etwas viel geworden! Wie man
sehen kann, sind sich die Philosoph:innen wie bei vielen Fragen sehr uneinig.
Weder die zeitliche Diskrepanz, noch das Retrosuicide-Paradoxon oder die
Theorie der multiplen, beziehungsweise einfachen Zeitstränge stehen
unhinterfragt. Generell ist der Gedanke an eine Zeitreise in die Vergangenheit
verrückt, nicht wahr? Und, dass man das philosophisch lösen können will, obwohl
es physikalisch gar nicht zu gehen scheint, wirkt sogar noch utopischer. Aber
ich möchte daran erinnern, warum wir darüber sprechen: Es geht nur um die
theoretische Möglichkeit. Ich habe Zeitreisen in die Vergangenheit vor meiner
Recherche für komplett unmöglich gehalten. Jetzt habe ich aber zumindest eine
ungefähre Idee davon, wie sie aussehen könnten. Und schon ist es irgendwie ein
Stück mehr Realität geworden, nicht wahr?
Aber es gibt auch einen Trend in den Theorien: Es scheinen sich fast alle
Theoretiker dieser Folge darin einig zu sein, dass man nichts an der
Vergangenheit ändern kann. Seien es Leute wie Holt oder Vranas, die generelle
Gegenargumente bringen oder Lewis, der die Veränderung an sich ausschließt.
Selbst Meiland redet nur von fremden, quasi-identischen Dimensionen. Das wäre
aber auch nicht mehr die eigene Vergangenheit, nicht wahr? Selbst, wenn
sie möglich wäre, sollte man sich nicht zu sehr auf Zeitreisen verlassen. Das,
was in jeder Hinsicht am wichtigsten ist, ist das Hier und Jetzt. Was tut ihr
gerade? Was habt ihr vor? Wo solltet ihr stehen? Wenn ihr eure Handlungen mit
Bedacht wählt und euer Bestes tut, werdet ihr vielleicht gar nicht mehr in die
Vergangenheit reisen wollen! Denkt nicht zu sehr daran, was ihr in der
Vergangenheit hättet anders machen können, sondern richtet eure Kraft auf die
Zukunft: Da kann sie am produktivsten sein und am meisten verändern. Aus
Fehlern lässt sich lernen und man kann in der Zukunft für das, was man in der
Vergangenheit verpasst hat, aufkommen. Das ist es, was es heißt, ein
verantwortungsbewusster, lernfähiger und guter Mensch zu sein. Und wenn ihr das
seid, gibt es nicht sehr viel mehr, was ihr noch braucht.
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Ok, dann macht es gut und einen schönen Tag noch!
Quellen
,,Time Travel: The Time Discrepany Paradox" - Dennis Charles Holt
,,The Paradox of Time Travel" - David Lewis
,,Can I kill my younger self? Time Travel and the Retrosuicide Paradox" - Peter Vranas
,,A Two-Dimensional Passage Model of Time for Time Travel" - Jack Meiland
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