#31 Muss sich die Philosophie verändern?

Zusammenfassung

Wenn ihr meinen Podcast schon länger verfolgt, ist euch vielleicht bereits aufgefallen, wie sehr ich einige Philosophen eigentlich herunterbreche. Und wenn ihr mir zuhört, geht es euch vielleicht so, dass euch die Originaltexte zu kompliziert wären. Das ist auf keinen Fall eine Schande, gewisse Philosophen wie Kant oder Heidegger bereiten auch mir Probleme. Aber warum ist das? Warum muss die Philosophie so kompliziert sein? Denn wenn ihr euch die Folgen so anhört, kommen euch die Konzepte doch eigentlich sehr simpel vor, oder? Und das sind sie eigentlich auch. Trotzdem geben einem diese Texte aus irgendeinem Grund unnötige Rätsel auf. Warum ist das so? Muss sich die Philosophie verändern?                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          Hallo zusammen und herzlich willkommen zurück zu einer weiteren Folge von „Philosophie für zwischendurch“!


Voranmerkung

Jetzt habe ich euch ja schon eine Weile auf die nächste Folge warten lassen, nicht wahr? Aber jetzt bin ich wieder da! Ganz kurz, bevor diese Folge anfängt: Einige von euch haben sicher schon gesehen, dass ich einen neuen Instagram-Account für den Podcast habe. Er heißt „philosophie_fuer_zwischendurch“! Also ganz simpel. Einige von euch folgen mir da auch schon, vielen Dank auf jeden Fall! Dieser Account ist da, um ein paar Storys über die Folgen zu machen, vielleicht auch einmal über den Entstehungsprozess, falls euch das interessiert… Und lauter andere Sachen, ich habe ein paar Ideen. Vielleicht habt ihr auch schon meinen ersten Beitrag zu Sokrates gesehen! Also, wenn ihr Lust habt: Folgt mir da sehr gerne! Ihr seid dann auch auf jeden Fall immer up to date, wenn ich noch einmal eine längere Pause mache oder mal etwas nicht kommt, oder auch wenn ich eine Folge ankündige! Schaut gern vorbei, ich würde mich freuen!


Einleitung

So, aber jetzt zurück zur heutigen Folge! Passend zum Podcast möchte ich heute mit euch über die Philosophie selbst reden! Eigentlich auch über den Grund, wieso es diesen Podcast überhaupt gibt. Also natürlich neben dem Fakt, dass er mir sehr viel Spaß macht. Das Grundprinzip von „Philosophie für zwischendurch“ ist, euch mögliche Antworten auf große philosophische Fragen näherzubringen. Und das auf jeden Fall simpler, als es die Philosophinnen und Philosophen selbst tun. Dabei fasse ich so gut es geht zusammen, was sie sagen – natürlich, so weit ich es verstehe. Es gibt ja auch viele Interpretationen und Lesarten. Und das ist wahrscheinlich auch der Grund, wieso ihr mir zuhört, oder? Oder eben zum Einschlafen. Was übrigens auch ok ist – das wurde ich ein paarmal gefragt. Aber das alles wurde im März in Frage gestellt und seitdem hat es mich echt nicht mehr losgelassen. Ich war damals nämlich auf Facebook unterwegs, um für diesen Podcast Werbung in ein paar Gruppen zu machen. Viele Grüße übrigens an alle Zuhörerinnen und Zuhörer von da. Fühlt euch im Folgenden bitte nicht angesprochen, denn es geht hier nur um 2 oder 3 Leute. Und die auf keinen Fall gerade zuhören oder sich daran erinnern könnten. Generell habe ich auch sehr viel mehr positives Feedback bekommen. Aber es geht hier ja auch nicht darum, dass ich mich über etwas ärgere, sondern über die Frage dieser Folge. Denn mir wurde tatsächlich von diesen 2-3 Leuten gesagt, ich würde hier nur triviales Wissen verbreiten. Ja tatsächlich! Es hieß, das hier wüsste ja schon jeder! Man könnte ja einfach selbst nachlesen, bei Kant oder Platon. Aber genau das ist ja der Sinn des Podcasts: Man kann eben nicht einfach nachlesen. Auch ich hatte bei dem ein oder anderen Text ziemliche Probleme. Und auch so liefere ich ja nur meine eigene Interpretation des Gesagten. Da die Philosophinnen und Philosophen, die ich zitiere, zum Großteil tot sind, kann man wohl niemanden fragen. 


Unnötig komplexe Texte

Ich glaube, viele Wissenschaftler, die schon lang in diesem Feld sind, verlieren immer mehr den Blick dafür, wie schwierig philosophische Texte eigentlich sein können. Grundsätzlich sind das alle ein bisschen, aber besonders die der deutschen Philosophen vom 18. bis 20. Jahrhundert. Wir haben da Leute wie Immanuel Kant, Georg Friedrich Hegel und Martin Heidegger. Wenn wir in das 17. Jahrhundert gehen, sehen wir Leute wie René Descartes oder John Locke, die schon etwas verständlicher sind. Nun und die antiken Griechen wie Platon und Aristoteles sind tatsächlich am eingängigsten, wie ich finde.
Ich gebe euch einmal ein Beispiel. Ich habe ja schon das ein oder andere Mal den Text „Sein und Zeit“ von Martin Heidegger in meinen Folgen verwendet. Und natürlich gebe ich ihn euch so simpel und verständlich wieder, wie es geht. Und das ist gar nicht mal so einfach, weil er schon sehr schwierige Themen darin bespricht. Man kann es aber auch unnötig kompliziert machen. Ich lese euch mal die ersten paar Sätze eines Kapitels zum Sein vor.
 „Das Seiende, dessen Analyse zur Aufgabe steht, sind wir je selbst. Das Sein dieses Seienden ist je meines. Im Sein dieses Seienden verhält es sich selbst zu seinem Sein. Als Seiendes dieses Seins ist es seinem eigenen Sein überantwortet. Das Sein ist es, darum es diesem Seienden je selbst geht. Aus dieser Charakteristik des Daseins ergibt sich ein Doppeltes.“
Sehr viel „Sein“ in diesem Abschnitt, nicht wahr? Ich bezweifle auf keinen Fall, dass das einige von euch sogar verstanden haben. Und wenn das bei Dir der Fall sein sollte, herzlichen Glückwunsch. Aber falls nein, ist das komplett verständlich, denn es geht auch einfacher. Also, was sagt Heidegger? Im Grunde beschreibt er hier das Sein des Menschen und später auch die Problematik, sich damit zu beschäftigen. Hier legt er dafür die Basis. Denn klar, wir selbst sind ja unser Sein. Und damit ist es nicht so einfach, es zu fassen. Wir erforschen es ja nicht nur von außen, sondern untersuchen unser Sein innerhalb unseres Seins. Also während wir existieren, denken wir über die Existenz nach. Und innerhalb dieses Seins haben wir natürlich Wünsche, Erwartungen und Denkweisen. Also alles Dinge, die einer objektiven Betrachtung im Weg stehen. Wobei er darauf noch weiter in den nächsten Absätzen eingeht, diese Textstelle ist ja nur eine Beschreibung des Seins ohne Wertung.
Das ist jetzt also dieser Absatz in etwas simpler. Ihr seht schon, es ist durchaus möglich. Selbst bei solchen schwierigen Themen. Ich hoffe zumindest, dass ihr mich verstanden habt. Ich möchte übrigens hinzufügen, dass Heideggers Text in der Manier auch weitergeht. Selbst wenn man diesen Absatz verstanden hat, kommt danach eine solche „Seiendes“-Flut, dass man irgendwann einfach nicht mehr mitkommt.
Jetzt möchte ich euch einmal ein einfacheres Beispiel zeigen. Einen Text, den ich vielleicht gar nicht so sehr erklären muss. Er ist von Aristoteles, aus der Nikomachischen Ethik. Und dessen Texte sind wirklich sehr viel einfacher zu verstehen. Aber hört selbst:
„Jede Kunst und jede Lehre, ebenso jede Handlung und jeder Entschluss scheint irgendein Gut anzustreben. Darum hat man mit Recht das Gut als dasjenige bezeichnet, wonach alles strebt. Es zeigt sich aber ein Unterschied in den Zielen: denn die einen sind Tätigkeiten, die andern bestimmte Werke außer ihnen.“
Es ist vielleicht auch etwas gemein, die Existenzphilosophie der Ethik gegenüberzustellen. Die Themen sind ja tatsächlich unterschiedlich komplex. Aber wie gesagt, geht alles in simpel. Ich hatte auch schon schwierigere und einfachere Folgen. Also, das war sehr viel verständlicher, oder? Auch wenn es natürlich nicht komplett einfach ist. Wissenschaftliche Texte bleiben eben wissenschaftliche Texte. Also, was sagt Aristoteles? Er sagt, dass jede Handlung ein Gut, ein Ziel anstrebt. Und das Gute scheint ja damit das Ziel jeder Handlung zu sein. Aber es gibt da einen Unterschied, bei dem man differenzieren muss: Entweder strebt man eine Tätigkeit für sich selbst an oder durch einen Nutzen, den sie bringt. Und das führt der Philosoph später natürlich aus.
Also, ihr seht sicher, wovon ich hier rede. Es gibt wirklich einen deutlichen Unterschied in der Komplexität. Und das ist kein Einzelfall! Man könnte viele Beispiele nennen. Doch warum ist das so? Es gibt sicherlich einen historischen Hintergrund. Philosophie war im alten Griechenland sehr viel eher für die Masse gedacht und dank der Römer auch sehr pragmatisch übersetzt worden. Dagegen ist sie in den letzten drei Jahrhunderten eher den Eliten vorbehalten geblieben und wurde im kleineren Kreis ausgetauscht. Aber da wissen die Historiker unter euch sicher mehr und können mir helfen. Das ist aber auch nicht die Hauptfrage dieser Folge. Das Thema ist: Muss sich die Philosophie verändern? Und in dem Zuge auch: Kann sich die Philosophie verändern? Denn Texte extra kompliziert zu schreiben, finden wir sicher alle unnötig. Aber ist es das, was hier passiert? Und ist das wirklich so ein großes Problem in der Philosophie? Braucht es dafür tatsächlich einen großen Umbruch oder ist das eigentlich gar nicht so wichtig? Letzten Endes ist es eben eine wissenschaftliche Sprache, die hier verwendet wird. Und gewisse Themen erfordern das vielleicht auch. Also, muss sich die Philosophie tatsächlich verändern oder ist sie gut, wie sie ist?


Ein schlechter Trend

Jemand der mit dem Stand der Philosophie seiner Zeit sehr unzufrieden war, war der Philosoph Arthur Schopenhauer. Er hat im 18. Und 19. Jahrhundert gelebt, also auch zu Zeiten Hegels. Und auf den hatte er es ganz besonders abgesehen. Doch was war sein Problem mit dem damaligen Stand dieser Wissenschaft? Schopenhauer hat den damaligen Professoren vorgeworfen, gar nicht mehr primär nach der Wahrheit zu suchen. Er fand die Philosophie seiner Zeit unnatürlich. Sie hätte sich auch von großen Lehrern wie Platon und Kant abgewandt. Stattdessen wären modernere Philosophen wie Hegel auf dem Programm. Schopenhauer sagt, dass statt der Suche nach der Wahrheit die Philosophie sehr viel funktionaler geworden wäre. Man würde versuchen, im Rahmen der Religionen und eigenen Wertvorstellungen zu bleiben, ohne zu experimentieren. Das wäre die sogenannte „angewandte“ Philosophie, bei der für den Staat funktionale Menschen produziert werden würden. Während die eigentliche Philosophie keinen anderen Maßstab haben sollte als die Wahrheit, und zwar um jeden Preis. Jetzt fragt ihr wahrscheinlich, was das mit unserem Thema zu tun hat. Denn ob Wahrheit oder nicht, wir waren ja dabei, dass die Philosophie verständlicher werden sollte. Doch dazu hat Schopenhauer auch etwas zu sagen. Denn auch wenn sie nicht die Wahrheit zu suchen scheinen, müssen sich die führenden Philosophen natürlich verhalten, als würden sie das tun. Sonst würde man sich ja auch lächerlich machen. Nein, die Professoren würden vielmehr komplizierte Texte schreiben und unverständliche Floskeln verwenden, um sich weiser darzustellen, als sie sind. Wenn man dann nach stundenlanger Arbeit diese Texte entziffert hätte, würde man aber sehen, dass gar nichts ausgesagt wurde. Denn für die Wahrheit, so Schopenhauer, braucht es solche Floskeln nicht. Die Wahrheit ist klar, sie ist simpel und sie ist verständlich. Solche komplizierten Texte würden dagegen nur den Ruf der Philosophie schwächen. Natürlich sagen die Leute dann, diese Wissenschaft wäre zu kompliziert und am Ende nutzlos. Denn die Professoren sind ja offenbar nur daran interessiert, schlau zu erscheinen, um ihren Status und Geldbeutel zu erhalten. Und auch dazu hat Arthur Schopenhauer etwas zu sagen. Er findet, dass die wahren Philosophen zu ihrer Zeit weder viel Geld noch Ruhm bekommen haben. Das kam dann vielleicht nach ihrem Ableben. Die Wahrheit führt aber auch nicht dazu. Deswegen sollte man generell misstrauisch werden, wenn Philosophen zu ihren Lebzeiten angesehen und reich sind. Wenn man nur die Wahrheit sucht, gibt man nämlich auch zu, gewisse Dinge nicht zu wissen. Im Übrigen kann man auch gar nicht alles wissen und auf alles eine Antwort haben. Als richtiger Philosoph würde man dafür, wenn man etwas weiß, seine Position möglichst klar und verständlich darstellen, um sie den Leuten näherzubringen und sie zu überzeugen. Darum geht es ja! Nicht darum, schlau zu erscheinen. Und alle mit den eigenen Texten abzuschrecken, damit sie einen nicht anzweifeln!
Also, was sagt uns Schopenhauer? Zumindest von der Philosophie seiner Zeit ist er überzeugt, dass sie sich ändern muss. Er wirft Philosophen wie Hegel vor, nur für das Ansehen und das Geld Philosophie zu betreiben. Und um das erfolgreich zu tun, muss man besonders weise erscheinen und auf alle Fragen eine Antwort haben. Da man aber nicht allwissend sein kann, schreibt man dann seine Texte so kryptisch, dass sie keiner versteht und einfach davon ausgeht, dass man so weise ist wie man sich gibt. Aber wenn man die Texte tatsächlich analysiert und genau durchliest, erkennt man, dass scheinbar gar nichts gesagt wurde. Die eigentliche Philosophie sollte nicht so sein. Sie sucht nach der Wahrheit, und zwar um jeden Preis. Auch wenn sie einem kein Geld oder Ansehen einbringt. Und normalerweise tut sie das auch nicht. Die Wahrheit ist nämlich klar, verständlich und simpel. Man braucht keine Floskeln, weil man nicht tut, als würde man alles wissen. Denn auch das ist die Wahrheit: Niemand ist allwissend. Aber natürlich bringt es einem nichts ein, das zuzugeben. Doch wenn man eine Erkenntnis hat, teilt man sie dem Umfeld möglichst verständlich mit, um es zu überzeugen. Und genau das sollte die Philosophie sein und tun.
So viel also zu Schopenhauer. Man muss wohl hinzufügen, dass er etwas hart gegenüber den Philosophen seiner Zeit ist. Besonders gegenüber Hegel, der ja schon wertvolle Erkenntnisse erbracht hat. Aber Schopenhauer war als Philosoph immer weniger erfolgreich als er und wurde an den Universitäten nicht so gut aufgenommen. Das hatte sicher einen starken Einfluss auf seinen Text. Aber wie auch immer, gehen wir zum nächsten Philosophen.


Der schlechte Ruf der Sophisten

Und zwar Platon. Denn er hat auch schon damals eine sehr ähnliche Beschwerde gegenüber seinen Zeitgenossen gehabt. Genauer gesagt, den Sophisten. In seinem Dialog „Der Sophist“ redet ein Fremder aus Elea mit dem Mathematiker Theodoros, dessen Schüler Theaitetos und Sokrates. Sie versuchen zu ergründen, wer diese Sophisten eigentlich sind. Platon sagt, dass die Tätigkeit der Sophisten der von Jägern gleicht. Nur jagt man eben keine Tiere, sondern Menschen. Natürlich aber nicht mit gewalttätigen Mitteln, sondern leise, still und heimlich. Mit der Macht der Sprache. Denn auch die Sophisten tun offenbar nur so, als wären sie weise und wüssten auf alles eine Antwort. Sophisten sollten eigentlich Weisheit verteilen. Aber hier haben wir wieder dasselbe Thema wie bei Schopenhauer: Da sie natürlich nur dann Geld bekommen, wenn sie auch etwas wissen, müssten sie optimalerweise allwissend sein. Da das aber natürlich niemand ist, verteilen sie oft Scheinwissen. Und auch hier auf so kryptische Weise, dass einfach angenommen wird, dass sie recht haben. Tatsächlich aber sind die Leute dadurch nur immer verwirrter, kein Stück weiter und haben Geld verloren. Denn das ist die Macht der Rhetorik: Sophisten können sich aus allem herausreden und für alle Positionen argumentieren, sodass sie nie ein Streitgespräch verlieren. Aber natürlich ist diese Fähigkeit schlecht, wenn man die Wahrheit sucht. Oder sie kann zu schlechtem eingesetzt werden. Besonders, wenn es dafür Geld gibt. Die wahren Philosophen, die die Wahrheit suchen, geben zu, wenn sie etwas nicht wissen. Wie es auch Sokrates in vielen Dialogen tut. Und sie streiten auch nicht für eine Position, von der sie nicht überzeugt sind. Sie müssen generell nicht streiten können, weil es um die Wahrheit geht und nicht darum, recht zu haben.
Platon hat also ganz offenbar dieselbe Einstellung zu den Sophisten wie Schopenhauer zu den Professoren. Es handelt sich hier wohl um kein speziell aktuelles Problem. Aber Platon wirkt auch etwas polemisch. Ebenso wie Schopenhauer stellt er die Sophisten einfach als Lügner und Betrüger dar und tut so, als wäre es schlecht, dass sie Geld verdienen. Aber wie sollte das generell schlecht sein? Geld mit der eigenen Kunst zu verdienen, ist eine Notwendigkeit und heißt nicht, dass man betrügt. Aber beide haben recht darin, dass die Wahrheit das Hauptziel der Philosophie, überhaupt aller Wissenschaft sein sollte. Und es bringt nichts, sie kryptisch darzustellen, um Unwissen zu verschleiern. Doch das scheint bei den Sophisten gar nicht so im Mittelpunkt zu stehen wie bei den Professoren des 19. Jahrhunderts. Ob Streitgespräche oder nicht, sie haben offenbar mit allen Leuten geredet und sie unterrichtet. Und im Grunde ist es genau das, was die Philosophie tun sollte. Das, was ich versuche zu tun. Können wir die Sophisten also noch irgendwie retten? Und wie sollte dann der Standard für eine Philosophin oder einen Philosophen sein?


Sophisten als Wahrheitsträger

Dazu zitiere ich jetzt tatsächlich auch noch Georg Friedrich Hegel. Interessanterweise passen sowohl er als auch Schopenhauer gut zu diesem Thema. Hegel verteidigt nämlich die Sophisten gegen Platons Kritik. Tatsächlich ist er der erste wirklich große Philosoph, der dazu offiziell in einem Text eine Gegenposition einnimmt. Das muss man sich einmal vorstellen! 2000 Jahre nach Platon ist noch immer die ganze Philosophie gegen die alten Sophisten und niemand hat sie jemals wirklich verteidigt! Hegel sagt, dass Sophisten eigentlich nichts anderes sind als Lehrer der Weisheit. Und es gab auch welche mit durchaus validen Positionen. Ihr erinnert euch ja sicher an meine Folge über die Vorsokratiker und Protagoras und Thrasymachos. Protagoras hat gesagt, dass es keine Realität, sondern nur subjektive Eindrücke gibt. Und Thrasymachos‘ Position war, dass es keine Moral gibt, sondern nur subjektive Urteile. Und natürlich gehen diese Meinungen gegen den Strom. Hegel sagt, dass der Einfluss von Platon nicht nur dafür gesorgt hat, dass die Sophisten an sich einen schlechten Ruf bekommen und behalten haben. Sondern auch, dass ihre Positionen weitgehend unter den Tisch gefallen sind. Es heißt, sie würden ohnehin nur Unwahrheiten verbreiten und alle Menschen so lange bereden, bis sie ihnen zustimmen. Dieses Bild ist so gefestigt, dass es nicht nur in der Philosophie, sondern auch außerhalb von ihr sehr verbreitet ist. Ich weiß nicht, ob ihr davor schon einmal etwas von den Sophisten gehört habt, aber bestimmt auch dann mit der negativen Konnotation, oder? Doch hier schreitet Hegel ein und sagt, dass das so nicht stimmt und eigentlich auch nicht sein kann. Es können nicht alle Sophisten Betrüger gewesen sein. Sokrates hatte genug mit ihnen gemeinsam, dass man ihn selbst als einen bezeichnen könnte und den hält Platon sehr hoch. Die Rolle der Sophisten war es nämlich eigentlich, das kritische Denken zu verbreiten. Denn sie haben abseits von Religionen und gesellschaftlichen Konventionen gedacht und philosophiert. Sie haben die Philosophie überhaupt erst bekannt gemacht und ihren Geist unter die Leute gebracht. Dass die Philosophie sich überhaupt erst traut, ohne Grenzen alles zu hinterfragen und sich von Politik und Theologie trennt. Und für diese umfassende Leistung ist es nur gerecht, auch Geld zu bekommen. Und was ihre Positionen angeht: Sicher gab es auch Betrüger, aber mit der Wahrheit ist es in der Philosophie auch nicht so einfach. Man weiß nicht, was das Hauptziel bei der Verbreitung ihrer Lehren war. Aber man kann bis heute nicht beweisen, dass Protagoras oder Thrasymachos falsch lagen. So funktioniert die Philosophie auch nicht. Auch, dass sie für ihre Positionen gestritten haben, ist eigentlich unproblematisch: Denn das sollte jede Person tun, die von ihrer Meinung überzeugt ist. Die Suche nach der Wahrheit ist nicht so schwarz und weiß und man kann sich auch irren. In der Philosophie entsteht der Erkenntnisgewinn vor allem durch Gespräche und Diskussionen. Also ist es sicher nicht schlecht, ein bisschen streiten zu können. Letzten Endes trifft diese ganze Beschreibung auch auf Sokrates zu. Nur hat er eben kein Geld genommen. Aber man muss nicht immer betonen, dass man Dinge nicht weiß, damit das klar ist. Die Sophisten haben getan, was sie konnten und wertvolle Gedanken unter die Menschen gebracht. Sicher ging es nicht allen nur um die Wahrheit, aber das kann man nicht so einfach generalisieren. Die Sophisten waren der Anfang der Philosophie, und Sokrates war einer von ihnen. Man sollte nicht die einen als Betrüger darstellen und den anderen als den Allvater der Philosophie.
Gut, so viel von Hegel. Was sagt er uns? Nachdem Schopenhauer die Professoren und Platon die Sophisten beschuldigt hat, Betrüger zu sein, die sich nicht um die Wahrheit scheren, bringt Hegel etwas Ruhe in die Diskussion. Denn er sagt, dass man das nicht so einfach festlegen kann. Nur weil Philosophen, wie sie es auch eigentlich verdient hätten, Anerkennung und Geld für ihre Arbeit bekommen, müssen sie nicht gleich Betrüger sein. Am Ende sind einige Philosophen kryptischer, andere verständlicher. Die Sophisten waren mal das eine, mal das andere, aber ihre besondere Leistung war es, auf die Menschen zugegangen zu sein. Alles hinterfragt und diese Mentalität weitergegeben zu haben. Und daher haben sie diesen schlechten Ruf nicht verdient. Es ist weder gesagt, dass sie alle gelogen haben, um Geld zu verdienen noch, dass sie alle nichts gewusst haben. Sie waren Lehrer, die auf der Suche nach Wahrheit und gegen Geld weitergegeben haben, was sie wussten.


Endstand

Fassen wir einmal kurz zusammen. Die Frage dieser Folge ist: „Muss die Philosophie sich verändern?“ Mir ist natürlich auch davor schon bewusst gewesen, dass gewisse Texte etwas zu kompliziert geschrieben sind. Und ich wusste auch, dass die Philosophinnen und Philosophen das teilweise auch extra getan haben. Aber seit dieser Facebook-Gruppe im März habe ich gelernt, dass das teilweise sogar noch ein unbewusster Prozess ist. Man denkt offenbar, die Texte könnte man ja einfach lesen und es wäre nichts dabei. Vielleicht halten manche Leute diesen Standard in der Philosophie sogar für normal. Und natürlich muss man fairerweise zugeben, dass es jetzt mit den englischen Philosophinnen und Philosophen deutlich besser wird. Aber das Problem bleibt. Allein, dass dieser Podcast so viele Hörerinnen und Hörer hat, zeigt es ja schon. Irgendetwas läuft nicht optimal in unserer lieben Wissenschaft. (Auch wenn ich euch natürlich sehr dankbar bin, bitte nicht abschalten)
Aber dann haben wir uns Arthur Schopenhauer angeschaut, der die Universitätsphilosophie auch sehr kritisiert hat. Für ihn haben die Philosophen des 19. Jahrhunderts aufgehört, primär nach der Wahrheit zu suchen. Allen würde es nur noch um den Ruhm und das Geld gehen. Und um möglichst angesehen zu sein, muss man weise sein, oder es eben wirken wirken. Und dafür tun diese Philosophen so, als würden sie alles wissen und verschleiern ihr Unwissen in kryptischen Texten, die nichts aussagen.
Und auch Platon sagt das, aber nicht über Professoren, sondern Sophisten. Menschen, die gegen Geld ihre Lehre verbreiten. Auch ihnen wirft er vor, sie würden nicht nach der Wahrheit suchen, sondern wären Betrüger. Leute, die nur so tun, als würden sie viel wissen, und daher rhetorisch sehr bewandert sind.
Und dann haben wir uns Hegel angeschaut, der die Sophisten in Schutz nimmt. Man kann nicht genau sagen, wer ein Betrüger war und wer nicht, aber sie können es nicht alle gewesen sein. Vor allem weil Sokrates im Grunde auch ein Sophist war. Man kann sich irren, oder eben eine These aufstellen, die nicht so einfach zu widerlegen ist. Wie gesagt haben wir diesen Fall ja bei Protagoras und Thrasymachos. Die Sophisten sollten eigentlich gerühmt werden, weil sie die Philosophie unter die Leute gebracht haben. Sie waren die ersten, die es populär gemacht haben, zu hinterfragen und keine Grenzen wie Gott zu akzeptieren. Der reine Geist der Philosophie.


Konklusion

Kommen wir zum Fazit. Was machen wir jetzt damit? Denn bei uns geht es ja nicht primär um die Sophisten, sondern die Philosophie überhaupt. Aber die Sophisten in ihrer Idealform wären genau die Philosophen, die wir brauchen, nicht wahr? Leute, die lange gelernt haben und dann der Welt davon erzählen. Und das natürlich so, dass es alle verstehen. Ich kann mir im Übrigen auch nicht vorstellen, dass man besonders gut bezahlt wird, wenn das Publikum einen nicht versteht. Aber gut, genau diese Rolle sollten Professorinnen und Professoren auch ausfüllen, oder? Sind das nicht einfach nur moderne Sophisten? Das ist es also, was wir von der Philosophie wollen. Gemachte Erkenntnisse verständlich allen Leuten mitteilen. Podcasts wie diesen hier kann es dann ja noch immer geben, weil nicht jeder Lust hat, alles zu lesen. Aber Texte sollten wirklich lesbar sein. Aber ist das die Realität? Es scheint nicht ganz so zu sein. Nach Schopenhauer hat die Philosophie inzwischen gar keinen Inhalt mehr, sondern wird von kryptischen Floskeln bestimmt. Etwas Ähnliches hat Platon den Sophisten vorgeworfen. Liegt es am Ruhm? Liegt es am Geld? Hegel ist nicht der Meinung, dass man das so einfach sagen kann. Man gibt eben die Erkenntnis weiter, die man hat und argumentiert für sie. So funktioniert die Philosophie. Man kann aber wohl nicht leugnen, dass gewisse Philosophen wie auch Hegel selbst komplizierter schreiben als nötig wäre. Und egal bei welchem Thema ist es immer möglich, sich simpel zu halten. Auch die alten Griechen haben schon sehr komplexe Themen behandelt. Es bringt nichts, gewisse Philosphinnen oder Philosophen als Scharlatane und Betrüger zu bezeichnen. Denn erstens kann man das nicht so genau wissen und zweitens ist das nicht Sinn der Sache. Ich denke, jede Philosophin und jeder Philosoph, egal in welcher Position, sollte sich vor Augen halten, wozu er oder sie philosophiert. Denn Arthur Schopenhauer hat recht: Es geht hier um die Wahrheit. Und sie ist rein, sie ist simpel und will mitgeteilt werden. Und das ist es doch, was wir alle wollen: Selbst weiser werden und dann diese Weisheit mit der Welt teilen. Und jeder Schritt in diese Richtung ist gut. Also, meine lieben Damen und Herren von Facebook damals: Das, was ich hier erzähle, ist kein Trivialzeug. Ich tue nur meinen Anteil, die Philosophie nicht so unnahbar und nutzlos aussehen zu lassen, wie sie es bei einigen Leuten tut. Denn gewisse Philosophen sind einfach sehr schwer zu lesen und eben nicht für alle zugänglich. Von daher versuche ich, ein bisschen von dem simplerer zu verbreiten, was ich weiß. Ein bisschen wie die Sophisten damals. Und ich hoffe natürlich, dass ihr von diesem Podcast etwas mitnehmt.

So, das war es mit der heutigen Folge. Ich möchte mich kurz herzlich bei denen bedanken, die über diese Pause dageblieben sind. Ich habe euch ja nicht wirklich auf ein einhalb Monate vorbereitet. Es freut mich zu sehen, dass ihr die Folgen immernoch so gerne hört und inzwischen so viele geworden seid! Jetzt kommen sicher wieder regelmäßiger Folgen. Und folgt wie gesagt sehr gern meinem Instagram Account „philosophie_fuer_zwischendurch“!

Lasst gern einen Kommentar da, was ihr denkt! Wenn ihr übrigens gerne die Blogbeiträge in Audioform hören, mich erreichen oder mir vielleicht sogar eine kleine Spende dalassen wollt, findet ihr alle Links dazu in meinem Linktree.

Und das wars. Macht es gut Leute, einen schönen Tag euch noch!


Quellen

,,Sein und Zeit" - Martin Heidegger

,,Nikomachische Ethik" - Aristoteles

,,Über die Universitätsphilosophie" - Arthus Schopenhauer

,,Der Sophist" - Platon

,,Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie" - Georg Friedrich Hegel

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