#28 Wer waren die Vorsokratiker?
Zusammenfassung
Erinnert ihr euch an meine Folge über Sokrates? Lang und breit habe ich da über diesen großen Philosophen geredet, der Urvater der Philosophie war er. Und auch sonst benutze ich seine oder Platons Texte sehr oft in meinen Folgen. Doch wer kam eigentlich vor Sokrates? Wo sind diese Leute alle hin? Denn auch bis zu 500 Jahre vor ihm wurde schon philosophiert. Das ist eine extrem lange Zeit! Und die Leute von damals haben auch nicht gerade Unsinn geredet. Was also kamen schon vor dem Vater der Philosophie für Erkenntnisse? Und warum haben sie es nie so sehr auf die große Bühne geschafft wie Sokrates‘ Aussprüche? In dieser Folge gehe ich in der Geschichte ein bisschen zurück und schaue mir die tatsächlich ersten Philosophen an. Hallo zusammen und herzlichen willkommen zurück zu einer weiteren Folge von „Philosophie für zwischendurch!“
Einleitung
Heute habe ich mir wieder
etwas Schönes für euch überlegt: Ich schaue ja immer mal wieder über meine
Statistiken. Unter anderem kann ich da auch sehen, wie oft gewisse Folgen so
gehört wurden. Und interessanterweise ist die Folge über Sokrates die
beliebteste von allen. Immer mal wieder auch überholt von der Sinnfolge,
zugegeben. Aber das war auch meine allererste Folge. Es freut mich schon sehr,
dass mein Lieblingsphilosoph offenbar auch euer Lieblingsphilosoph ist! Und
deshalb will ich in der heutigen Folge etwas mehr über ihn sprechen. Oder
vielmehr die Philosophen vor ihm. Denn wenn ihr euch an die
Sokratesfolge, oder auch an die über den Buddhismus erinnert: Ich spreche immer
nur von ihm, wenn es um westliche Philosophie geht. Sokrates war der
Ursprung unserer Denkweise und alles danach richtet sich nach ihm. Doch was ist
eigentlich mit den Philosophen, die davor kamen? Man könnte ja glatt den
Eindruck bekommen, ich würde ihre Erkenntnisse für nichtig erklären. Klar, wenn
alles, was nach Sokrates kam, die westliche Philosophie war, war das davor
wohl nicht so wichtig. Jedenfalls könnte man das denken. Aber das tue ich
eigentlich nicht. Die sogenannten „Vorsokratiker“ hatten definitiv auch
wichtige und interessante Denkansätze. Im Grunde bilden sie rein chronologisch
den Beginn aller westlicher Philosophie überhaupt. In der heutigen Folge will
ich also ein bisschen von ihnen erzählen, damit sie nicht zu sehr in den
Hintergrund geraten. Und ich möchte auch klären, warum es denn nun ausgerechnet
Sokrates ist, der so berühmt geworden ist. Warum war keiner von ihnen der eigentliche
Beginn unserer Lieblingswissenschaft? Schauen wir uns das einmal an.
Annäherung
Ich glaube, man kann
gleich einen wichtigen Faktor herausstellen, warum die Vorsokratiker so viel
weniger bekannt sind: Es ist von ihnen kaum bis gar nichts an Schriften
überliefert. Das spielt auch schon in einen Grund hinein, warum wir von
Sokrates so viel mehr wissen: Platon. Wisst ihr, Platon ist der Schlüssel zu
der gesamten antiken Philosophie bis zu ihm gewesen, später noch mit
Aristoteles. Und wieso? Ganz einfach: Die Schrift. Im antiken Griechenland
wurde für eine lange Zeit nichts Wissenschaftliches aufgeschrieben. Natürlich
kannte man den Papyrus, und die praktischen Dinge wurden auch verewigt.
Irgendwelche physikalischen Formeln, um ein Gebäude zu bauen und so. Aber
philosophische Erkenntnisse wurden mündlich weitergegeben. Man hat es sich erzählt,
wie Sokrates seinem Kreis an Zuhörern. Und das ist eine Methode, bei der viel
Wissen verloren gehen kann, oder abgefälscht. Außerdem verbreitet es sich so
nicht so gut. Nun ist aber Platon in einer Generation geboren worden, in der es
immer gewöhnlicher wurde, Dinge aufzuschreiben. Und so hat er es getan. Dass er
dabei Sokrates so oft erwähnt und verehrt hat, liegt einfach an seiner
Bewunderung für den Philosophen. Und das hat ihn auch für spätere Zeiten so
bekannt gemacht. Die Vorsokratiker dagegen hat Platon zum Großteil nie
persönlich gekannt. Ihre Ansichten kannte er über drei Ecken, wenn sie ihm
erzählt wurden. Und so hat er eben aufgeschrieben, was er wusste. Von daher ist
er bis auf Aristoteles auch für diese Philosophen quasi die einzige
Quelle, die wir haben. Man sieht also, dass Platon und die Schrift einen sehr
großen Einfluss darauf hatten, wer berühmt wurde und wer nicht. Doch ob sie nun
so bekannt sind wie Sokrates oder nicht: Die Vorsokratiker hatten definitiv
eine Reihe an sehr interessanten philosophischen Theorien. Und deshalb werde
ich euch die wichtigsten Personen und Strömungen bis zur Zeit des Sokrates
vorstellen.
Thales und das Urelement des Planeten
Fangen wir an mit einem
Philosophen an, der von Vielen als der erste gesehen wird: Thales. Thales kennt
man wahrscheinlich vor allem aus dem Matheunterricht, oder? Der Thales-Kreis.
Alle Dreiecke, die sich ein einem Halbkreis befinden, sind rechtwinklig. Wenn
die Kante des Dreiecks auf der des Halbkreises liegt und eine Ecke die
Kreislinie berührt. So ungefähr war das, oder? Hoffe ich mal. Aber keine Sorge,
es geht hier natürlich um Philosophie, nicht Mathematik. Und im damaligen Sinne
war Thales auch ein Philosoph. Es wird angenommen, dass er von 624 v.
Chr. bis 548 v. Chr. lebte. Zum Vergleich: Sokrates hat von 469 v. Chr. bis 399
v. Chr. gelebt. Ja, das Rechnen mit diesen Jahreszahlen vor Christus ist immer
ein besonderer Spaß, deshalb kürze ich es euch mal ab: Thales hat ungefähr 80
Jahre vor Sokrates gelebt. In Milet, übrigens, was inzwischen im Westen der
Türkei liegt. Er hat sich vor allem mit dem Beginn der Erde beschäftigt. Nach
seiner Theorie kam nämlich alles aus dem Wasser. Das Wasser ist der Ursprung von
allem, und es umgibt alles. Die Landmasse auf der Erde liegt nur auf dem Wasser,
das diesen Planeten ausmacht. Es gibt der Erde auch Stabilität und ihre Form. Und
es geht noch weiter: Thales sagt auch, dass jedes Lebewesen von diesem Urstoff
etwas in sich trägt, zu einem gewissen Anteil.
Nun, was sagen wir dazu?
Interessanterweise ist das ja recht akkurat! Nach moderner Theorie kam das
Leben auf der Erde tatsächlich aus dem Wasser. Denken wir an schwimmende Tiere,
die vor Urzeiten die Fähigkeit entwickelt haben, sich auf dem Land
fortzubewegen. Ihr Biologinnen und Biologen wisst da sicher mehr als ich. Auch
besteht tatsächlich der größte Teil der Erde aus Wasser, deshalb sind
wir ja der sogenannte „blaue Planet“. Und auch die Theorie, dass alle Lebewesen
Wasser enthalten, scheint zu stimmen. Zumindest wir Menschen haben es zu 70% in
uns, wenn ich mich richtig erinnere.
Nun, aber natürlich war Thales kein moderner Wissenschaftler. Es gibt, wie wir
heute wissen, den Erdkern, der nicht aus Wasser besteht. Und Thales ist auch
immer von einer scheibenförmigen Erde ausgegangen. Es ist auch umstritten, wie
viel er tatsächlich gewusst hat. Wie genau hat er seine Annahme gemeint, jedes
Lebewesen würde Wasser enthalten? Es gibt auch Theorien, dass er geglaubt haben
soll, der antike Meeresgott Okeanos soll die Erde erschaffen haben. Aber gut,
er hat auch vor mehr als 2500 Jahren gelebt. Thales ist aber in jedem Fall ein
Philosoph im damaligen Sinne. Denn so wurden Wissenschaftler lange genannt: Das
Wort bedeutet nämlich einfach: „Freund der Wahrheit“. Doch aus heutiger Sicht
wäre Thales eher ein Physiker oder Biologe. Das macht ihn aber trotzdem zu
einem der ersten westlichen Denker, den wir kennen.
Hesiod und das Wesen der Götter
Und ja, ich habe bewusst
„einer der“ und nicht „der“ gesagt. Denn der Platz um den ersten Philosophen
ist umstritten. Es gibt nämlich einen weiteren Anwärter: Hesiod. Hesiod gewinnt
zunächst einmal definitiv den Vergleich des Alters: Denn er hat wesentlich vor
Thales gelebt. Der Dichter und Philosoph lebte um 700 v. Chr. und war damit bis
zu 100 Jahre vor Thales und 250 vor Sokrates. Deshalb gilt er für einige Andere
auch als der erste Philosoph. Das Problem mit Hesiod ist, dass umstritten ist,
ob er wirklich ein Philosoph oder ein Geschichtenerzähler war. Denn jemand, mit
dem er oft verglichen wird, ist Homer. Homer hat im 10. Jahrhundert v. Chr.
gelebt, also noch einmal 200 Jahre davor. Und er war auf jeden Fall ein Tragödiendichter
und kein Philosoph. Von Homer kennen wir Geschichten wie die Odyssee oder die
Schlacht um Troja. Ihm ging es nicht um die Wahrheit oder philosophische
Fragen, das ist offensichtlich. Er wollte eben gute Geschichten erzählen. Doch
Hesiod ist da kein so eindeutiger Fall. Denn auch wenn er Geschichten von den
Göttern erzählt hat, die wir als die griechischen Sagen kennen, hat er wohl
immer einen Anspruch auf Wahrheit erhoben. Und zwar nicht nur in dem Sinne,
dass er an seine eigenen Geschichten geglaubt hat. Hesiod hat sich nämlich genau
wie Thales auch Gedanken über die Entstehung der Erde gemacht. Woher kommen
wir? Eine sehr ursprüngliche philosophische Frage. Und selbst die Götter sieht
er nicht als ewig an, sondern auch sie kamen irgendwo her. Hesiod sagt, dass
ganz am Anfang das Chaos herrschte. Es war ein Status ohne Ordnung oder
Funktionalität. Aber er meint damit nicht das, was wir uns heutzutage unter
Chaos vorstellen. Das Universum war nicht unordentlich, sondern es war leer. Und
damit war es im Chaos: Denn, weil es nur Leere gab, konnte sich keine Ordnung
etablieren. Doch dann entstand eines Tages der Liebesgott Eros und startete
unsere Weltgeschichte. Er bewirkte Vereinigung, Zeugung und Geburten. Und
daraufhin wurde aus dem Chaos die Finsternis, der Gott Erebos geboren. Dieser Verband
sich mit der Nacht, und sorgte dafür, dass sie dunkel war. Und daraufhin
entstand auch der Tag als Gegenteil. Die Erde wurde in Form der Urgöttin Gaia
geboren, und sie zeugte das Meer und den Himmel Uranos. Mit Uranos gebar sie
dann noch die Titanen. Diese später die Götter, die sich in einem Machtkampf
die Herrschaft über die Menschheit eroberten. Zeus war dabei der Hauptgott. Das
war jetzt sehr abgekürzt, ich weiß. Aber man könnte sonst eine ganze Folge über
diese Sagen machen. Ich würde sie mir an eurer Stelle auf jeden Fall einmal
durchlesen oder anhören, sie sind wirklich sehr spannend. Doch so viel erstmal
zur Entstehung der Erde.
Was sich Hesiod auch gestellt hat, waren Fragen über die Götter. Zu
ihrem Wesen. Denn wenn sie die Herrscher über alle Menschen waren, mussten sie
ja wohl gut, gerecht und weise sein. Doch wie ließe sich dann all das Leid auf
der Erde erklären? Hesiod kommt zum Schluss, dass jedes irdische Leid nicht
Sache der Götter, sondern die Schuld der Menschheit ist. Die Götter könnten gar
nicht schlecht sein, weil sie dazu zu erhaben und weise seien. Schlechtheit
dagegen würde nur aus Unwissenheit entstehen.
Ein Standpunkt, wie ihn
Platon Jahrhunderte später aufgreift. Auch sonst hat Hesiod interessante
Ansätze bearbeitet. Bei ihm fällt auf, dass er schon mehr der philosophischen
Richtung zugeneigt zu sein scheint als Thales. Während dieser physikalische
Fragen beantwortet, ist Hesiods Philosophie eher metaphysisch. Nicht nur
„woher kommen wir?“, sondern „woher kommt das, von dem wir kommen?“, „Was steht
hinter dem Ursprung der Erde?“ Mit dem Rückgriff auf die Götter könnte man
seine Philosophie auch theologisch nennen. Mit seiner Erfassung der Götter und
dem Verhältnis zum Menschen hat er eine Theorie angerührt, die noch aktuell
ist. Jedoch muss man auch sagen, dass Hesiod für all seine Erkenntnisse nie
einen Beweis darlegt. Kein Beleg, keine Argumentation lässt sich in seinen Theorien
finden. Und das ist eigentlich etwas, das essentiell für die Philosophie ist.
Hesiod dagegen erzählt nur Geschichten wie Homer, behauptet aber eben, dass sie
wahr sind. Und auch wenn sie nicht komplett unplausibel erscheinen, fällt es
vielen Menschen deshalb schwer, ihn als den ersten Philosophen anzuerkennen.
Sein metaphysischer Ansatz zur Entstehung der Erde wurde aber auch von anderen,
späteren Philosophen noch aufgegriffen. Es gibt da den Philosophen Anaximander,
der davon gesprochen hat, dass die Erde aus einem undefinierten Material, dem
Apeiron entstanden sein soll. Anaximenes sagt, die Luft sei das eigentliche
Grundelement der Erde. Und nach Pythagoras ist das Prinzip der Welt die Zahl,
die alles schon immer ordnet. Doch von ihnen will ich erstmal nur so viel
erzählen, sonst sprengt das den Rahmen. Ich will euch ja die Vorsokratiker vorstellen,
nicht Hesiods Theorie diskutieren. Schreibt mir aber gern in die Kommentare,
was ihr von ihm haltet.
Heraklit und das Wesen des Menschen
Jetzt machen wir einen
kleinen Zeitsprung. Der nächste Philosoph ist nicht so naturwissenschaftlich
verankert wie seine Vorgänger. Auch hat er eine eigene Theorie, die er mit
Argumenten und Belegen stützt. Heraklit ist wahrscheinlich einer der ersten
Vorsokratiker, den man tatsächlich zweifelsohne auch im heutigen Sinne als
Philosophen bezeichnen kann. Er hat von 540 v. Chr. bis 480 v. Chr. gelebt, und
war damit nur noch um die 10 Jahre von Sokrates entfernt. Heraklit war stark
gegen die Lehre des Hesiod, die bis dahin bearbeitet worden war. Die ganzen
Versuche, die Entstehung der Erde zu erklären, ließen ihn kalt. Er fand sie
nämlich alle grundlegend falsch. Sie würden alle auf einer falschen Basis
argumentieren und sich immer weiter von der Wahrheit entfernen. Heraklit lehnte
auch die Integration der Götter in die Wissenschaften radikal ab. Er meinte, es
wäre Zeit, dass man rationale Theorien aufstellt. Denn genau das war
nach ihm das einzige wichtige Prinzip der Welt: Der Logos. Logos ist ein
altgriechisches Wort, das man nicht eindeutig übersetzen kann. Aber es heißt so
viel wie Erklärung oder Logik. Und das war das Mantra des Philosophen: Alles
auf der Welt kann man komplett rational erklären und logisch erfassen.
Wovon er überzeugt ist,
dass es die Menschen nicht verstehen, ist die Einheit der Gegensätze. Das ist
zugleich auch seine Hauptthese: Alle Gegensätze bilden eigentlich eine Einheit.
Was genau heißt das? Nun, bisher ist man im Großen und Ganzen von Hesiods
Modell ausgegangen. Es gibt verschiedene Götter oder zumindest
Naturerscheinungen, die Gegensätze darstellen wie Tag und Nacht, Meer und Land,
Wärme und Kälte und so weiter. Und diese würden sich immer wieder abwechseln
und abstoßen, und damit die Welt regeln. Doch Heraklit sagt, dass Gegensätze
eigentlich immer von derselben Substanz ausgehen. Und alles was sie sind, sind
wechselnde Zustände von ihr, also eigentlich eine Einheit. Natürlich sind Tag
und Nacht nicht wortwörtlich dasselbe, aber es sind einfach nur
unterschiedliche Bewegungen der Sonne. Ein rauschendes Meer ist auch nicht
etwas komplett anderes als ein ruhiges Meer. Es ist ja noch immer dasselbe Wasser.
Nur die Zustände sind sich entgegengesetzt. Damit gibt es keine verschiedenen
Entitäten, die sich gegenüberstehen, sondern nur einen großen Klumpen Existenz,
der verschiedene Zustände durchläuft. Gegensätze sind also nicht nur
einheitlich, sondern treiben auch die Welt voran. Auch stehen sie im ständigen
Kampf: Nach jeder dunklen Nacht drängt die Sonne wieder nach oben, und der Tag
erstreitet sich seine Zeit. Doch bald danach erscheint wieder die Dunkelheit.
Aber diesen Kampf braucht es nach Heraklit, damit alles seine Ordnung hat. Denn
Gegensätze müssen immer nacheinander ablaufen und keine Seite darf fehlen.
Sonst zerfällt die Ordnung der Welt. Und da haben wir das weltliche Prinzip:
Gegensätze. Vielleicht ein Beispiel: Als Mensch hat man erst Hunger, isst dann
etwas und ist dann satt. Der hungrige Mensch kann nicht das Gegenteil des
satten Menschen sein, denn es ist derselbe Mensch. Nur ist der Hunger das
Gegenteil der Sattheit. Und beides passiert ihm. Muss es auch: Denn wenn der
Mensch keinen Hunger hat, isst er auch nichts und wird nicht satt. Er kann auch
nicht satt sein, ohne Hunger gehabt zu haben. Oder hungrig, ohne die
potentielle Fähigkeit gesättigt zu werden. Gut, was will Heraklit uns hier
eigentlich sagen? Bis hierhin wirkt es ein bisschen, als würde er einfach nur
an den Wörtern drehen, nicht wahr? Ist es nicht egal, ob es jetzt die Entitäten
selbst sind, die gegensätzlich sind, oder einfach nur ihre Eigenschaften?
Nein, ist es nicht. Denn Heraklit sagt damit etwas Wichtiges über das
menschliche Wesen, und überhaupt alles Seiende: es gibt eigentlich keine festen
Substanzen und Identitäten, weil sich immer alles verändert. Durch den Kampf
der Gegensätze, der immer wieder abläuft, wandelt sich alles ständig. Deshalb
gibt es eigentliche keine Konstante, und keine festen Körper die sich
gegenüberstehen können. Man kann sich das wie bei einem Fluss vorstellen. Der
Fluss strömt in genau eine Richtung und kommt nicht zurück. Was am
Anfang ein großer Steinbrocken ist, wird durch die ganze Reibung des Wassers
immer und immer kleiner. Ist der Kiesel am Ende noch derselbe Steinbrocken wie
am Anfang? Nein. Auch schon nach der ersten Verkleinerung ist er es nicht mehr.
Das Einzige, was konstant ist, sind die Zustände die er durchläuft. Ein
riesiger Felsen wird in einem solchen Fluss immer zerkleinert werden. Und auch
wir bleiben nie derselbe Mensch. Alle Menschen haben Hunger und alle können
satt werden. Und daneben gibt es auch andere Kräfte, die uns antreiben. Diese
Kräfte sind konstant, aber wir nicht. Denn sie lenken uns, und nicht umgekehrt.
Und damit ist der Mensch eigentlich nie, sondern wird nur immer.
Wir befinden uns eben alle immer im Lebensfluss, der nur in eine Richtung geht.
Doch auch hier ist
umstritten, was Heraklit genau gewusst und was er gesagt hat. Es ist zum
Beispiel noch immer nicht bewiesen, dass dieses Bild des Flusses tatsächlich
von ihm kommt. Was man aber weiß ist, dass er als einer der Ersten das Wesen
des Menschen genauer eingefangen hat. Und es ist bekannt, dass dieser seiner
Meinung nach ein werdendes, aber nicht seiendes Wesen ist. Nach Heraklit gab es
weitere Philosophen zur Ontologie, auf die ich aber auch nicht weiter eingehen
werde. Es geht hier ja auch nicht um Heraklits Position, sondern die
Vorsokratiker selbst. Aber es gab da zum Beispiel Parmenides, der sehr bekannt
ist. Des Weiteren auch Zenon und Melissos. Alle haben sie die Position des
Philosophen diskutiert und weiterentwickelt.
Die Sophisten
Doch kommen wir zum nächsten Vorsokratiker auf der Liste. Der Philosoph Protagoras lebte in einer Zeit, in der sich die Philosophie sehr stark von der Masse entfernt hat. Damals, zu den Zeiten Hesiods und Homers gab es noch diese großartigen Geschichten mit Helden und Bösewichten, die die Welt erklärt haben. Doch Konzepte wie das werdende Wesen des Menschen von Heraklit sind nicht mehr sonderlich greifbar. Und auch davor: Über die Jahrhunderte hatte sich die Philosophie zu einer Angelegenheit für die Wenigen entwickelt. Reiche, die besonders gebildet waren zum Beispiel. Oder auch Verrückte natürlich. Und wenn etwas von denen kam, verstand man es normalerweise nicht. Es war alles sehr kryptisch. Und Heraklit soll dafür besonders bekannt gewesen sein. Doch irgendwie muss doch der Bogen zu Sokrates geschlagen worden sein, oder? Wie genau wurde die Philosophie denn wieder populär? Ganz einfach: Durch andere Themen und Lehrer, die davon erzählt haben. Die Sophisten. Bis dahin hat sich die Philosophie nämlich fast ausschließlich mit Metaphysik und Ontologie beschäftigt. Also mit den Fragen, wo alles ursprünglich herkommt und wie unser menschliches Sein aufgebaut ist. Alles nicht sonderlich greifbar, oder? Deshalb kommen im 5. Jahrhundert v. Chr. die Sophisten, die sich Fragen zur Erkenntnisphilosophie, Ethik und Politik stellen. Und das sind praktische und greifbare Themen. Was genau können wir sicher wissen und was stimmt? Was sollen wir tun und was ist gut? Wie sollte unsere Politik funktionieren? Doch wer sind dieses Sophisten eigentlich? Im Grunde sind es Wanderlehrer. Leute, die in diesen Fragen gebildet sind und umherziehen, um gegen Geld ihre Lehren zu verbreiten. Leider hatten sie ungefähr genauso lang wie sie existiert haben, einen etwas schlechten Ruf. Es hieß, sie würden gar nicht die Wahrheit kennen, sondern nur schlau daherreden. Sie würden ihren Kunden das Geld aus der Tasche ziehen, und rhetorische Tricks beibringen, mit denen es nur klingen würde, als hätte man recht. Das mag auch wahr sein. Es gibt immer Scharlatane und Betrüger, das ist klar. Und das ungebildete Volk konnte eben nicht zwischen den Guten und den Schlechten unterscheiden. Aber Fakt ist, dass die Sophisten die Philosophie gerettet haben. Sie sind unter das Volk gegangen und haben jedem von dieser Wissenschaft erzählt. Und selbst wenn sie wissentlich oder unwissentlich falsch gelegen haben, so haben sie das kritische Denken angeregt. Die ganze westliche Wissenschaftskultur, die alles hinterfragt und nichts einfach hinnimmt. Das kam aus dieser Zeit. Auch Sokrates wurde oft als Sophist bezeichnet. Das war auch bei seiner Hinrichtung einer der Anklagepunkte. Er hätte kein Wissen vermittelt, sondern einfach nur schlau dahergeredet und jedem Zeit, Geld und Nerven gekostet. Es ist tatsächlich bis heute umstritten, ob er einer war oder nicht. Kommt auf die Definition an. Doch was wir sagen können, ist, dass Sokrates kein Betrüger war. Er ist unter die Leute gegangen und hat ihnen Vieles erzählt. Aber er hat nie Geld für seine Lehren verlangt, so weit man weiß. Es ergibt auch Sinn: Wäre seine Frau Xanthippe wirklich so wütend gewesen, wenn er jeden Tag Geld nach Hause gebracht hätte? Und die Beschreibung, dass er ohne Schuhe mit zerrissenem Mantel herumgelaufen sein soll, passt auch eher auf einen armen Mann. Außerdem hat Sokrates auch nie behauptet, etwas zu wissen. Also konnte er kein falsches Wissen verbreitet haben. Er hat ja vor allem Fragen gestellt. Von ihm kommt außerdem der Satz „Ich weiß, dass ich nicht weiß“! Kleiner Einschub übrigens dazu: Ich habe erst vor einem Monat gelernt, dass die Übersetzung „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ offenbar ein Fehlzitat von Cicero war. Wohl eine Sprachungenauigkeit. Es macht tatsächlich auch einen Unterschied, aber das ist jetzt nicht wichtig. Mehr dazu, also nicht zu diesem speziellen Detail, aber dem Rest, könnt ihr euch auch in der Sokratesfolge anhören, aber hier geht es ja um Protagoras.
Protagoras und das Wissen
Dieser jedenfalls war erwiesenermaßen ein Sophist und Philosoph. Er lebte von 490 v. Chr. bis 411 v. Chr., und war damit zwar älter als Sokrates, aber definitiv ein Zeitgenosse. Protagoras hatte ein ganz besonderes Interesse für die Erkenntnisphilosophie. Platon selbst hat ihm zwei Dialoge gewidmet: Theaitetos und Protagoras. Und in beiden lässt er den Sophisten seine Philosophie erklären. Die Hauptthese des Protagoras war, dass der Mensch das Maß aller Dinge ist. Das heißt: Alles, was man wahrnehmen kann, ist die Wahrheit. Und zwar nur das. Es scheint also so zu sein, dass Protagoras eine streng subjektivistische Theorie vertreten hat. Er geht wohl nicht davon aus, dass es objektive Wahrheiten gibt. Der Sophist argumentiert das mit den Sinneswahrnehmungen. Wenn jemand aus einem kalten Land kommt und ein gewisses Wetter warm findet, ist das doch die Wahrheit, oder? Denn seine Empfindungen sind real: Die Sinnesorgane übermitteln ihm das Gefühl von Wärme. Aber genau dasselbe Wetter kann einer Person aus einem heißen Gebiet kalt vorkommen. Und da ist das Dilemma: Dieselbe Temperatur und zwei Wahrnehmungen. Und beide müssen wahr sein, denn sie kommen von realen Sinneswahrnehmungen! Es kann nicht eine falsch sein, oder gar beide. Und deshalb müssen beide stimmen. Also gibt es keine objektive Wahrheit, und alles, was wir haben, sind subjektive Wahrnehmungen. Denn, und hier geht Protagoras nach dem Wissen des Heraklit: Wir befinden uns in ständiger Veränderung. Auch wir sind nur Subjekte im Fluss des Lebens. Von daher gibt es keine objektive Sicht, weil nichts konstant bleibt. Und selbst wenn es die gäbe, könnten wir nicht daran teilhaben, weil wir im Fluss schwimmen und nicht von oben draufschauen. Also, wie gesagt: Eine subjektivistische Theorie. Natürlich gibt es hier von Sokrates und Platon viele Erwiderungen. Sie haben die populäre Position vertreten, dass es sehr wohl eine objektive Wahrheit gibt. Aber an dieser Stelle möchte ich diesen Themenkomplex auch schon wieder verlassen.
Thrasymachos und das Gute
Denn jetzt werde ich euch
den letzten Vorsokratiker dieser Folge vorstellen, mit dem letzten großen Thema
der Philosophie: Der Ethik. Und für diese ist vor allem einer der jüngeren
Sophisten bekannt: Thrasymachos. Auch er hat im 5. Jahrhundert gelebt und war Zeitgenosse
des Sokrates. Er war aber jünger, im Unterschied zu Protagoras. Thrasymachos
habe ich ausgewählt, weil man ihn durch den Platondialog „Der Staat“ etwas
besser kennt. Ich weiß nicht, wer von euch meine Folge über den guten Menschen
gehört hat, aber da kommt der Sophist vor. Und darin hat er sich mit der Frage
über das Gute und Gerechte beschäftigt. Während Sokrates von seiner Meinung
über das Gute erzählt, unterbricht dieser ihn und unterbreitet seine eigene
Theorie. Nach Thrasymachos ist das Gerechte nämlich der Vorteil des Stärkeren.
Was heißt das? Naja, in jedem Staat gibt es eine herrschende Klasse. Und die
Leute darin nehmen für sich das Gute in Anspruch. Das heißt, sie bezeichnen
sich selbst als besser, schlauer und weiter als die Bevölkerung. Müssen sie ja
auch, um ihre Macht zu legitimieren. Und damit ist alles gerecht, was sie tun
oder was in ihrem Sinne geschieht. Doch alles, was gegen sie unternommen wird,
ist schlecht und ungerecht. Und hier kommen die Gesetze ins Spiel: Denn diese
werden natürlich von der herrschenden Macht zum eigenen Vorteil erlassen. Oder
zumindest im eigenen Sinne. Von daher ist es also gerecht und gut, sie zu befolgen.
Das moralisch Gute ist nach Thrasymachos kein universeller, sondern ein
relativer Wert. In jeder Gruppe an Menschen wird von der herrschenden Macht
festgelegt, was gut und schlecht ist. Und das ist es dann auch. Es gibt also
auch hier wieder keinen objektiven Wert. Deshalb sagt Thrasymachos aber auch,
dass es nicht unbedingt immer nützlich ist, gerecht zu sein. Wenn man schlau
ist, und es schafft, das Gesetz zu umgehen, kann man sehr viel mehr Erfolg
haben als ein guter Mensch. Zum Beispiel, indem man Steuern hinterzieht. Das
kann nützlich sein, wenn man nicht erwischt wird. Doch wenn, muss man eben das
zehnfache zahlen oder so. Aber es ist eine logische Rechnung: Die herrschende
Person legt fest, was gut ist. Und natürlich ist das Gute das, was in ihrem
Sinne passiert. Wenn man also gut handelt, nützt man nicht sich, sondern einer
anderen Person. Dagegen hilft man sich selbst, wenn man ungerecht handelt. Der
Gerechte ist nämlich gebunden, muss immer Leistungen erbringen und kann nie
ungerecht handeln. Der Ungerechte dagegen ist frei von allem, kann sich Belohnungen
erschleichen und muss weniger dafür leisten. Das moralisch Gute ist also kein
objektiver Wert. Vielmehr wird er in jeder Gruppe von der obersten Klasse
festgelegt. Ein gerechter Mensch ist gesetzestreu und dient der herrschenden
Kraft. Dafür ist er aber gebunden, unfrei und kann ausgebeutet werden. Der
ungerechte Mensch ist dagegen im Vorteil, und kann sich eine gewisse Freiheit
bewahren.
Ja ich weiß schon, schon
wieder ein Relativist. Aber das liegt einfach daran, dass Sokrates, Platon, und
auch später Aristoteles sehr universalistisch argumentiert haben. So redet
Platon sehr viel von der objektiven Wahrheit und dem Guten. Deswegen wollte ich
euch einmal die Gegenseite präsentieren. Generell waren im alten Griechenland
Politik und Moral sehr oft gemischt. Es gab neben Thrasymachos nämlich auch
andere Ethiker wie Hippias, Antiphon und Kallikles. Und sie gehen alle entweder
in die Richtung, dass es bessere und höhere Menschen gibt, die das moralisch
Gute vorgeben. Oder sie sagen, dass das moralisch Gute für alle Menschen gleich
ist, weil es keine höheren und niedrigeren Menschen gibt. Und das würde
Gesetze, zumindest aus der damaligen Zeit, wieder ungerecht machen.
Endstand
Doch so viel dazu. Ich
denke, es ist Zeit für eine Konklusion. Aber davor möchte ich euch noch
zusammenfassen, was denn jetzt alles gesagt wurde. Ich gebe ja zu, es waren
sehr viele verschiedene Positionen und Meinungen zu den philosophischen
Grundthemen.
Angefangen hat die
Geschichte der Philosophie im 8. Jahrhundert v. Chr. mit Hesiod, falls man ihn
zählen will. Der Dichter und Philosoph hat sich nämlich schon damals
grundlegende Gedanken darüber gemacht, wo wir denn herkommen. Und seine Theorie
hing sehr stark mit den Göttern zusammen. Am Anfang herrschte danach völliges
Chaos und Leere. Dann hat der Liebesgott Eros die Geburt der Finsternis Erebos
und der Erde Gaia bewirkt. Diese hat dann noch das Meer und den Himmel Uranos
geschaffen. Und mit dem zeugte sie die Titanen, und diese die Götter. Und aus
dieser Ordnung entstand alles andere auf der Erde. Letzten Endes regierten dann
die Götter mit Zeus an der Spitze über die Menschheit. Sie waren weise,
erhabene und gerechte Wesen. Auf der einen Seite zwar eine sehr strukturierte
Aufzählung, aber ohne Beweise. Damit ist es schwer, Hesiod als tatsächlichen
Philosophen zu sehen. Doch er hat einen Anspruch auf Wahrheit erhoben, also
könnte man ihn auch als Metaphysiker oder Theologen bezeichnen.
Eine etwas
naturwissenschaftlichere Theorie hatte dann Thales zwischen dem 7. und 6. Jahrhundert
v. Chr. Deshalb hat man auch oft bei ihm den Beginn der Philosophie gesehen.
Thales hat gemeint, dass alles Leben im Wasser angefangen hätte. Das Wasser
wäre überhaupt das Urelement der Erde und würde ihr Halt geben. Da es so ein
Lebenswichtiger Stoff ist, wäre er auch in jedem Lebewesen zu einem gewissen Anteil
vorhanden. Alles sehr schlüssige Entdeckungen, wie wir heute wissen. Jedoch ist
nicht ganz geklärt, wie viel Thales genau gewusst hat und was nur Glaube war.
Außerdem war er auch der Meinung, die Erde wäre eine Scheibe. Auch gibt es
trotz des ganzen Wassers noch immer den Erdkern als Stütze der Erde. Doch das
kann man Thales sicher nachsehen. Im damaligen Sinne noch als Philosoph, gilt
er jetzt auf jeden Fall als der erste Physiker.
Der erste tatsächliche
bekannte Philosoph im alten und neuen Sinne ist dann wohl Heraklit. Er hat im
späteren 6. bis zum frühen 5. Jahrhundert v. Chr. gelebt, kam also wiederum
etwas später. Der Philosoph hat all die Lehren von vor seiner Zeit verworfen.
Es hat ihn sehr gestört, wie viel Einfluss der Glaube an die Götter auf die
Philosophie hatte, und wie viele falsche Meinungen kursiert sind. Vor allem
über die Funktion der Welt. Denn Heraklit war davon überzeugt, dass durch reine
Logik alles erklärbar sein müsste. Und seine Meinung war es, dass die
Gegensätze allesamt eigentlich eine Einheit bilden. Es wären nur
unterschiedliche Zustände derselben Substanzen. Genau wie Nacht und Tag von
genau demselben Körper, der Sonne ausgehen. Doch diese Gegensätze wären es, die
alles auf der Welt antreiben, indem sie immer wieder nacheinander ablaufen.
Wenn ein Mensch Hunger hat, muss er auch satt sein können, denn sonst würde das
nicht funktionieren. Wenn er satt ist, muss er Hunger gehabt haben. Aber da die
Gegensätze die Treibende Kraft auf der Welt sind, sind wir es nicht mehr. Das
ist eben der Punkt: Wir sind eigentlich nie. Wie in einem großen
Lebensfluss wird unsere Materie durch verschiedene Gegensätze immer wieder hin
und hergewirbelt. Von daher spricht Heraklit über den Menschen als ein
werdendes Wesen. Und auch hier weiß man nicht genau, was Heraklit wirklich
gewusst, und was ihm zugeschrieben wurde. Aber das ist wohl ein Problem mit
allen Vorsokratikern. In jedem Fall aber war Heraklit einer der ersten
Ontologen auf der Welt.
Und dann kam der Sophist
oder Wanderlehrer Protagoras. Ihn hat eher die Erkenntnisphilosophie
interessiert, über die er viel erzählt hat. Der Philosoph hat im 5. Jahrhundert
v. Chr. gelebt. Damit war er Zeitgenosse des Sokrates, wie die meisten
Sophisten. So hat er gesagt, der Mensch sei das Maß aller Dinge. Alles, was wir
sehen, ist auch die Wahrheit. Für uns eben. Da wir uns alle im
Lebensfluss des Heraklit befinden, gibt es keine objektive Sicht. Denn wenn
einem ein gewisses Wetter kalt vorkommt, ist das ebenso wahr, wie wenn es einem
anderen Menschen warm vorkommt. Es sind zwei erwiesen wahrgenommene Wahrheiten,
von denen weder eine noch beide falsch sein können. Von daher muss jede
Wahrnehmung eine Wahrheit sein. Da das eine objektive Wahrheit aber
ausschließen würde, gibt es auch keine. Protagoras war also Subjektivist.
Sowohl Sokrates als auch Platon haben später dagegen argumentiert.
Und dann gibt es noch den
jüngeren Sophisten Thrasymachos. Auch er war ein Zeitgenosse des Sokrates im 5.
Jahrhundert und hat über die Gerechtigkeit philosophiert. Thrasymachos war vor
allem an der Ethik und Politik interessiert. Er sagt, dass es immer moralisch
gut sei, dem Gesetz zu folgen. Denn jeder Herrscher würde zu Anfang seiner
Macht festlegen, was gut und was schlecht ist. Damit ist natürlich gut, was in
seinem Sinne passiert und alles andere schlecht. Und logischerweise würden
Gesetze genau das wiederspiegeln. Das heißt aber nicht, dass es immer eine gute
Idee ist, diese zu befolgen. Wenn man sich nicht erwischen lässt, ist es
nämlich eigentlich besser, ungerecht zu handeln. Denn der während der Gerechte
nur für eine andere Person arbeitet, für harte Arbeit wenig Lohn bekommt und
für immer so weitermachen muss, ist der Ungerechte frei. Er kann sich seinen
Lohn erschleichen, tun was er will und selbstgerecht leben. Auch Thrasymachos
ist also ein Relativist. Nur sagt er eben, dass der objektive Wert der Moral
nicht existiert. Auch hier hatten Platon und Sokrates natürlich ihre Einwände.
Konklusion
Aber das sind alle
Vorsokratiker, die ich euch zeigen wollte. Und man sieht: Es gab durchaus auch
schon eine nennenswerte Philosophie vor Sokrates: Metaphysik, Theologie,
Ontologie, Erkenntnisphilosophie und Ethik. Und das sind alle wichtigen Gebiete
in dieser Wissenschaft. Zwar ist die Philosophie erst seit Sokrates richtig
abgehoben, aber schon damals war sie sehr weit. Und eigentlich ist das
merkwürdig. Denn trotz der Wichtigkeit des Sokrates war er nie dafür bekannt,
besonders klare und ausführliche Theorien zu haben. Er hat eben vor allem
gefragt und angeregt, das war sein Schema. Was macht ihn also so besonders?
Warum hat Cicero all die Jahre danach gesagt, er wäre es gewesen, der
die Philosophie aus dem Himmel geholt und unter die Menschen gebracht hat? Nun,
das Problem war: Seit nach Hesiod war die Philosophie nur etwas für Verrückte
und Reiche gewesen. Keiner hat die Fragen besonders nützlich gefunden, und die
Ergebnisse waren auch schwer zu verstehen. Hesiods Sagen waren interessant und
plausibel, was musste man mehr wissen? Klar war Heraklit ein großer Philosoph,
aber niemand hat ihn damals verstanden. Und so haben die Leute nicht mehr
hingehört. Im 5. Jahrhundert v. Chr. hat sich eigentlich niemand für die
Philosophie interessiert. Doch dann kamen die Sophisten und brauchten sie
wieder unter die Leute. Und zwar mit Fragestellungen, die direkt für ihr Leben
relevant waren: Was ist überhaupt wahr? Was sollte man tun? Wie sollte die
Politik aussehen? Natürlich waren auch die anderen Gebiete relevant und hätten
leicht erklärt werden können. Ich selbst habe das ja eben getan. Aber das ist
damals eben nicht passiert. Nicht nur waren die Leute der Philosophie
abgeneigt, die Philosophie war es auch von ihnen. Doch die Sophisten haben
alles erzählt, was sie wussten. Und ob Sokrates nun einer war oder nicht: Er
hat es auch getan. Und das mit Erfolg: Er hat den jungen Platon so sehr
beeindruckt, dass dieser Jahrzehnte später eine eigene große Akademie gegründet
und duzende Schriftstücke veröffentlicht hat. Und damit hat Sokrates genau das
getan, was Cicero gesagt hat: Er hat die Philosophie vom Himmel der erhabenen
Vorsokratiker heruntergeholt und den Leuten auf der Straße mitgeteilt. Und
genau das macht ihn so speziell und wichtig in der Geschichte dieser
alten Wissenschaft. Natürlich gibt es auch Themen, die schwerer zu erklären und
komplizierter sind. Ontologie und Metaphysik sind eben schwierigere Themen als Ethik
und Politikwissenschaft. Aber man sollte nie vergessen, wem die Philosophie
eigentlich nützen soll. Es lohnt sich nicht, Sachen komplizierter zu machen, als
sie sind. Denn wenn niemand sie versteht, nimmt man die eigenen Erkenntnisse
mit ins Grab. Und das wäre den Vorsokratikern wahrscheinlich fast passiert.
Nicht jede Philosophie muss der Masse gefallen, oder überhaupt massentauglich
sein. Doch es sollte immer möglich sein, sie für alle verständlich mitzuteilen.
Denn nur wenn Wissenschaft auch verstanden wird, generiert sie auch wirklich Wissen.
Und genau deswegen habe ich diesen Podcast: Um meinen Teil daran beizutragen.
So, so viel zu meiner
heutigen Folge. Ich hoffe, sie hat euch gefallen! Irgendwie war sie fällig,
weil ich ja doch sehr oft über Sokrates geredet habe, als wäre er der erste
Philosoph gewesen. Und das war er natürlich nicht. Ich hoffe, ich habe hier gut
vermittelt bekommen, wie weit die Philosophie eigentlich auch damals schon
wahr. Selbst der Ansatz von Hesiod von vor inzwischen um die 2700 Jahre über
die Götter oder eben Gott wird noch diskutiert. Ich denke, mit dieser Folge
habe ich diesen Urphilosophen auf jeden Fall die Ehre erwiesen, die ihnen
gebührt. Sagt Bescheid, was ihr denkt!
Lasst gern einen Kommentar da, was ihr denkt! Wenn ihr übrigens gerne die Blogbeiträge in Audioform hören, mich erreichen oder mir vielleicht sogar eine kleine Spende dalassen wollt, findet ihr alle Links dazu in meinem Linktree.
Ok, dann macht es gut,
einen schönen Tag noch!
Quellen
,,Die philosophische Hintertreppe" - Wilhelm Weischedel
,,Antike Griechische Philosophie" - Manuel Knoll
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