#24 Warum bestrafen wir?

Zusammenfassung

Wozu haben wir eigentlich Gesetze? Was ein merkwürdiges Konzept sie doch eigentlich sind: Wir fangen Leute ein, die etwas Schlimmes gemacht haben und fügen ihnen auch Schaden zu. Und diese Idee ist so alt wie die Menschheit selbst. Wer etwas verbrochen hat, gehört bestraft. Aber, werdet ihr sagen, dass ist ja nicht der eigentliche Sinn von Gesetzen. Sie sollen vor allem Ordnung in einem Staat schaffen und die Leute beschützen. Und das ist natürlich wahr. Aber woher kommt dann unser Gerechtigkeitssinn? Denkt mal darüber nach: Warum soll es eigentlich so logisch sein, dass eine Person leiden muss, nur weil sie Leid zugefügt hat. Wieso ist das gerecht? Das werde ich mir heute etwas genauer anschauen. Ich habe diesmal auch wieder Beistand: Meine gute Freundin Natalie, die Jura studiert.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              Hallo zusammen und herzlichen willkommen zurück zu einer weiteren Folge von „Philosophie für zwischendurch“!


Einleitung

Heute möchte ich mit euch über Strafen reden. Oder besser: gesetzliche Strafen. Ich habe das Thema ja bereits in der Folge über die Moral erwähnt, aber nie wirklich ausgeführt. Denn wozu brauchen wir überhaupt Strafen? Wozu bestrafen wir? Und wozu brauchen wir dazu überhaupt Gesetze und nehmen nicht einfach unseren moralischen Katalog? Warum braucht es den Staat als Institution, um das zu machen? Und wie viel hat Jura tatsächlich mit Philosophie zu tun? Es gibt ja auch Leute, die gewisse Gesetze ungerecht finden. Denkt an gewisse Verurteilungen: wenn zum Beispiel ein gewalttätiger Pädophiler verhaftet wurde, habe ich schon oft von Leuten gehört, er solle eigentlich nie wieder entlassen werden. Leute, die eine Bank überfallen haben, sind dagegen in einem ganz anderen Licht. Hier sagen die Leute eher, das sei fast schon bewundernswert und in keinem Fall moralisch so verwerflich wie der letzte Fall. Wozu bestraft man diese Leute also eigentlich? Und wie sehr sollte man das tun? Wieso ist ein gewalttätiger Pädophiler ein moralisch und gesetzlich so anderer Fall als ein Bankräuber?
Aber keine Sorge, liebe Jurist:innen, ihr dürft euch wieder setzen. Ich werde hier nicht allein über euer Fach reden. Ich weiß genau, wie schwer es euch aus irgendeinem Grund fällt, jemanden ohne Kenntnisse über Gesetze reden zu hören. Also ist das hier meine zweite Duo-Folge, ich bin sehr gespannt, wie sie euch gefällt! Deshalb habe ich mir eine Person herangeholt, die euch repräsentieren darf. Ihr Name ist Natalie, sie studiert Jura und ist eine gute Freundin von mir.


Ein Einblick in die Rechtswissenschaft

So, und da bin ich auch schon im Duo-Part dieser Folge, heute mit Natalie! Hi, schön dich hier zu haben! Ich würde sagen, wir fangen direkt an, und zwar ganz generell. Was genau ist dieses Strafrecht eigentlich, über das wir heute reden?

(Dieser Teil ist nur eine sehr grobe Widergabe des Gesagten, weil nur ein sehr generelles Skript existiert hat)

  1. Was ist Strafrecht?

Strafrecht ist Teil des öffentlichen Rechts, da der Staat durch das StGB Hoheitsgewalt über den Bürger ausübt, also in einem Ober- und Unterordnungsverhältnis handelt. Das StGB stellt dabei das sog. Kernstrafrecht da (zu den Arten des Strafrechts s.u.) und regelt das materielle Strafrecht, also die Frage, welche Handlungen strafbar sind. Die StPO hingegen regelt das Prozessrecht, also die Frage, wie ein Gerichtsverfahren in Strafsachen abläuft und wie die Polizei/StA ermitteln darf. Nach Abschluss des Verfahrens (im Falle eines Strafurteils) gilt dann das Strafvollstreckungsrecht, das ebenfalls in der StPO geregelt ist. Das LVollZG regelt dann den Umgang mit den Strafgefangenen in den Gefängnissen.
In Abgrenzung zum Zivilrecht regelt dieses die Beziehungen zwischen Privaten, also das Verhältnis zwischen Gleichrangigen, z.B. Kauf, Miete, Darlehen, ErbR, FamR.

Ok, das klingt schon einmal ziemlich spezifisch. Wahrscheinlich gibt es von der Art echt viele Kategorien im Recht. Eine etwas generelle Frage aber: Wieso bestrafen wir eigentlich überhaupt? Was wollen wir damit erreichen, jemanden wegzusperren?

    2.Wieso bestrafen wir? Was sind die Ziele?

Umstritten, 3 große Theorien. Strafzwecktheorie ist Begründung/Legitimation, warum Staat strafen darf.
1. Absolute Theorie = Strafe ist Vergeltung/Sühne und stellt die Gerechtigkeit wieder her. Es kommt daher nicht auf die Auswirkungen der Sanktionen auf die Gesellschaft an. Orientierung an altbiblischen Grundsätzen ( Auge um Auge) oder am kategorischen Imperativ von Kant. BHG und BVerfG sehen die Strafe auch als Vergeltung.
Kritik: Obwohl Rechtsstaat, Art. 20 III GG, keine absolute Gerechtigkeit herstellen muss, versagt die Theorie insbesondere bei kleineren Vergehen. Fraglich ist, ob man direkt für alles eine Freiheitsstrafe braucht. Auch sind die negativen Folgen langer Gefängnisstrafen nicht immer mit Art. 20 I GG, Sozialstaatprinzip, zu vereinbaren.

  1. Relative Theorie = Es geht nur darum, zu verhindern, dass erneut gesündigt wird; Sühne spielt also keine Rolle, es geht nur um die Wirkung der Sanktion.
    Teilt sich in zwei Richtungen, es ist wiederum umstritten, wen die Prävention treffen soll.

2a: Spezial- oder Individuelle Prävention = Prävention durch Einwirkung auf den Täter selbst
Kritik: ebenfalls nicht ausreichend, allein den Strafzweck darzustellen. Wieder ist das Sozialstaatprinzip zu beachten: Hieraus erwachsen Fürsorgepflichten gegenüber dem Straftäter. Auch haben Täter aus APR ( Art. 1, 2 I GG) ein Recht auf Resozialisation. Dass diese Theorie nicht ausreicht, zeigt sich v. a. daran, dass manche Täter keiner Resozialisation bedürfen und dass, wenn es einer solchen bedarf, das Maß nie absolut bestimmt werden kann, es sind aber nur solche Strafen zulässig, die erforderlich, geeignet und angemessen sind, Art. 20 III GG.

2b: Generalprävention = Einwirkung auf die Allgemeinheit in Form der negativen (Abschreckung) und der positiven Generalprävention (Einübung der Rechtstreue).
Kritik: Negative Abschreckung bezieht sich auf das Menschenbild des Homo oeconomicus, also auf den stets rational denkenden Menschen. Die Strafe muss also so hoch sein, dass bei einer Abwägung der Nutzen hinter den Kosten zurückbleibt. Dieses Menschenbild ist nicht zutreffen, es passt auch nicht auf Affekttaten.
Gegen die positive Prävention spricht, dass sie dazu verleiten könnte, unangemessene Strafen zu verhängen, nur um den anderen Teilen der Gesellschaft zu zeigen, dass das Recht durchgesetzt wird. Dies verstößt gegen Art. 1 I GG.

  1. Vereinigungstheorie = sozusagen die goldene Mitte, da die Vertreter dieser Theorie für alle Zwecke gleichwertig nebeneinanderstehen.
    Kritik/Pro: Vermischung der Strafzwecke, andererseits rückt so die Generalprävention in den Vordergrund, die den größten Nutzen verspricht.
  2. Fazit
    Die Vereinigungstheorie überzeugt.

Ah, sehr interessant. Nun glaube ich, das sind alle Fragen, die ich habe. Vielen Dank für die ausführlichen Antworten und den juristischen Input! Ich glaube nicht, dass ich diese ganzen Sachen nach einer einfachen Recherche so hätte herausfinden können!


Reflexion

Ok, da bin ich wieder: Euer Lieblingspodcaster! Was hat Natalie denn jetzt eigentlich gesagt? Und was kann man hinzufügen?
Nun, auf jeden Fall sehr viele verschiedene juristische Sachen. Keine Sorge, ich kürze das etwas runter. Also zunächst einmal: Das Strafrecht, das wir uns hier ja anschauen wollen, ist offenbar dadurch speziell, dass es vom Staat über das Volk ausgeübt wird. Es gibt also eine klare Rolle des oder der Bestrafenden und Bestraften. Und auch geht es hier härter zu: Man kann für eine lange Zeit ins Gefängnis gesperrt werden, teilweise sogar auf wortwörtliche Lebenszeit. Nun, und je nach Land kann man ja sogar auch getötet werden. Dann hat sie darüber gesprochen, warum wir bestrafen, worauf wir auch gleich weiter eingehen werden. Aber im Grunde scheint es da zwei Seiten zu geben: Die Vergeltung und die Prävention. Also will man auf der einen Seite eine Schuld für eine begangene Tat ausgleichen. Aber es geht auch darum, dass die Strafe einen weiteren Sinn hat, wie zum Beispiel, die Bevölkerung vor der Person zu schützen oder sie zu bekehren. Nun und dann variieren natürlich die Strafen, die man diesen Menschen je nach Vergehen gibt. Dabei muss sie natürlich der Schwere des Vergehens gegenüber angemessen sein. Man wird keinen Taschendieb lebenslänglich wegsperren.


Kants Ethik

So viel zu Natalie. Aber ich möchte mir mit euch den Aspekt der Straftheorien genauer anschauen. Hier habe ich zwei Philosophen, die dazu eine komplett entgegengesetzte Sicht hatten. Und zwar Kant und Platon mit dem Strafsinn der Vergeltung und der Prävention. Nun fangen wir mit Kant und der Bestrafung zur Vergeltung an.
Der Philosoph macht in seiner „Metaphysik der Sitten“ gleich zu Beginn klar, dass wir nicht bestrafen dürfen, um das Gut einer bestimmten Person oder Personengruppe zu erreichen. Wie Natalie es auch schon gesagt hat. Es geht hier um Vergeltung. Und da ist es egal, ob alle zu ihrem Gut kommen oder nur einer: Es ist nicht richtig. Doch warum? Nun, wenn ihr euch meine alte Folge zur Moral angehört habt, seid ihr vielleicht mit der kantischen Ethik vertraut. Falls nicht, stelle ich einmal den Aspekt davon vor, der hier eine Rolle spielt. Kant sagt, dass man einen Menschen nie nur als Mittel für etwas gebrauchen darf, sondern er immer Ziel sein muss. Oder man baut ihn eben gar nicht ein. Was heißt das? Nehmen wir uns die Lüge. Wieso ist es falsch, zu lügen? Weil man die Person, die man anlügt, als Mittel für die eigenen Zwecke missbraucht. Der ganz klassische Betrug zum Beispiel. Ihr verkauft einer Person eine riesige Aufstellwand als Haus, um Geld von ihr zu bekommen. Und natürlich sagt ihr dem Käufer oder der Käuferin nicht, dass ihr gar kein Haus, sondern eine Aufstellwand im Angebot habt. Sonst würdet ihr euer Geld ja gar nicht bekommen. Das heißt, ihr benutzt die andere Person als Mittel, um zu eurem Zweck zu gelangen, der aber nicht die Person selbst zum Zweck hat. Denn sie denkt, sie würde ein Haus bekommen. Das wäre ihr eigener Zweck. Und wenn ihr einen ehrlichen Handel ohne Lügen führen würdet, würden beide zu ihrem Zweck kommen. Objekte kann man so behandeln. Ein Tisch hat keine Wünsche, den kann man zerlegen oder aufbauen, wie man will. Objekte darf man als Mittel zu einem eigenen Zweck behandeln, denn sie haben keinen Selbstzweck. Menschen schon. Und unmoralische Handlungen zeichnen sich dadurch aus, dass man deren Selbstzweck für den eigenen ignoriert. Vielleicht noch ein Wort zu Notlügen, bevor ich diesen Punkt schließe: Man könnte sich fragen, was mit Lügen ist, die der anderen Person guttun würden. Wenn jemand fragt, wie einem ein Kleidungsstück gefällt, und es sieht eigentlich furchtbar aus. Sagt man dann die Wahrheit oder lügt man, damit sich die Person besser fühlt? Nun würde Kant auch hier sagen: Man muss auf jeden Fall die Wahrheit sagen. Warum? Nun hat man zwar einen guten Zweck für die Person im Auge, denn sie soll einen guten Tag haben. Aber man ignoriert immer noch ihren Selbstzweck. Dieser ist es nämlich eigentlich, die Wahrheit über ihre Klamotten zu erfahren. Und selbst wenn man es gut meint, überschreibt man diesen Zweck mit einem, den man der Person selbst gibt. Und das ist falsch. Außerdem würde man die Person in dem Fall davor bewahren, den ganzen Tag mit hässlichen Klamotten durch die Stadt zu laufen.


Bestrafung zur Vergeltung

So, und damit kommen wir zurück zur Bestrafung. Der Grund, wieso man eine Person nicht einfach nur für das Gut einer anderen bestrafen darf, ist der, dass man sie dann als Objekt gebraucht. Kant nennt hier ein Beispiel, das aus heutiger Sicht kontraintuitiv wirken mag. Und zwar sagt er, dass es ungerecht wäre, einen zum Tode Verurteilten freizusprechen, damit Ärzte an ihm Experimente machen dürfen. Nun nehmen wir einfach an, dass die Todesstrafe eine legitime Bestrafung ist. Man bestraft die Person hier nicht, weil sie etwas verbrochen hat. Sondern man nutzt ihre aussichtslose Situation aus, weil sie ja wie alle Menschen nicht sterben will. Oder drehen wir es um. Wenn jemand in der heutigen Welt einen Mord begeht und weggesperrt werden würde. Wäre es da gerecht, ihn umzubringen, damit Ärzte seine Organe spenden können? Nein, natürlich nicht! Kant sagt, dass Menschen deshalb bestraft werden müssen, weil sie eben Straftaten begangen haben. Denn jeder Mensch ist gleich, damit ist auch jeder Mensch vor dem Gesetz gleich. Wenn wir uns anfangen, die Frage zu stellen, wie sehr eine Strafe uns selbst zugutekommen würde, werden wir zu einem Willkürstaat. Und auch umgekehrt soll die Strafe nicht dafür benutzt werden, dem Verbrecher zu nützen. Denn auch das ist eine ungerechte Behandlung. Es geht nicht darum, was wir wollen. Es geht darum, was gerecht ist, und das steht im Gesetz.
Es ist auch eine Frage des Gleichgewichts: Alle Menschen sind ja gleich. Und daher ist der Schaden, den Verbrecher anderen Menschen zufügen, sowohl Schaden an der Gesellschaft als auch an sich selbst. Denn man verletzt die eigene Ehre, steigert die Kriminalität in der eigenen Gesellschaft und ist im Ungleichgewicht mit dem Rest. Deshalb dient die Strafe als Ausgleich für die begangene Tat. Und daher ist Kant auch für die Todesstrafe. Es gibt gewisse Sachen, die durch nichts anderes als den eigenen Tod ausgeglichen werden können. Zum Beispiel der Mord. Das Leben der toten Person kann nicht verbessert oder zurückgebracht werden. Und so gibt es gar keinen anderen Ausgleich als den Tod des Mörders oder der Mörderin. Kant denkt auch an besonders schandvolle Taten wie den Kinder- oder Kameradenmord. Hier mordet man nicht nur, sondern auch noch auf so schändliche Art und Weise, dass man gesellschaftlich nie wieder akzeptiert werden kann. Verurteilte Menschen sollten diese Strafe als gerechten Ausgleich und logische Konsequenz sehen.
Nun hat Kant natürlich auch ein Auge auf seine Gegenstimmen. Ihm ist schon klar, dass Leute schon beim Lesen seiner Schrift innerlich ausrufen, dass die Todesstrafe inhuman sei. Besonders bei einem Philosophen, der dafür einsteht, Menschen nicht wie Objekte zu behandeln. Der Staat hätte, wie Kant ganz richtig gesagt hat, das Versprechen getätigt, alle Bürger zu schützen. Wie kann das damit im Einklang sein, die Möglichkeit in Aussicht zu stellen, dass sie durch seine eigene Hand getötet werden könnten? Kant wendet hier ein, dass dieser Einwand so tut, als würden Menschen grundsätzlich gerne bestraft werden wollen. Als müssten sie in diesem Staat sterben und eingesperrt werden wollen. Obwohl genau das Gegenteil der Fall ist! Natürlich will niemand vor Gericht! Und selbst wenn man für einen Mord nur eine Geldstrafe bekommen würde, würde die doch niemand zahlen wollen! Das ist eben genau das, was Kant sagt: Das Gesetz tut nicht das, worauf wir Lust haben oder was uns gerade entgegenkommt. Es tut das, was gerecht ist. Und jeder Mensch in einem Staat sollte akzeptieren und sich freuen, dass dieser mit gerechten Mitteln arbeitet.
Also, was sagt Kant? Er macht klar, dass wir Verbrecher nicht bestrafen dürfen, um für irgendjemanden einen Vorteil zu erreichen. Denn alle Menschen sind gleich und es ist nicht richtig, durch das Verbrechen einer Person zu profitieren. Man soll Verbrecher bestrafen, weil sie schuldig sind und zwar nach dem Gesetz. Man soll ausgleichen, was sie der Gesellschaft angetan haben, um Gerechtigkeit zu erreichen. Und das heißt auch, nicht vor der Todesstrafe zurückzuschrecken. Niemand wird gern bestraft, egal wie. Doch darum geht es auch nicht: Gerechtigkeit ist nicht das, was einem gefällt, sondern das, was einen Ausgleich der Schuld schafft. Und bei gewissen schandhaften und furchtbaren Taten gibt es einfach keinen anderen Weg.


Bestrafung zur Prävention

Gibt es jetzt dazu auch eine andere Seite? Gibt es gute Gründe, vielleicht doch eher das Gut der Menschen im Auge zu haben als den Ausgleich eines Vergehens? Ja, allerdings. Und zwar vom Philosophen Platon. In seinem Werk „Der Staat“ heißt es, wahre Gerechtigkeit sei eigentlich das Gute. Denn wie könnte es etwas Anderes sein? Wir alle streben nach ihr ebenso wie nach dem Guten. Jeder möchte ein guter und gerechter Mensch sein. Doch wenn ein gerechter Mensch manchmal schlecht handeln muss, wie kann er dann weiterhin ein guter Mensch sein? Denn Platon sagt ganz am Anfang schon, dass jede Art von Schaden, den man anderen Menschen zufügt, eigentlich ungerecht sein muss. Wieso? Folgendes: Man kann eigentlich niemanden durch gerechte Taten ungerecht machen. Wenn man sich nett zu einer anderen Person verhält, wird sie auch zu einem nett sein. Oder wenn nicht, dann zumindest nicht deshalb, weil man nett war. Wenn man ein Pferd gut versorgt und trainiert, wird es schneller und stärker. Es wird, könnte man sagen, in seiner Funktion als Pferd besser. Und eben so funktioniert es mit allem. Wenn man sich gerecht verhält, ist es nicht möglich, dass man andere ungerecht macht. Und deshalb kann es nicht zu den gerechten Handlungen gehören, anderen zu schaden. Denn Schaden macht ungerecht. Wenn man ein Pferd schlägt oder ihm zu wenig zu fressen gibt, wird es weniger zutraulich, unmotiviert und dünn. Es verliert an seiner Funktion als Pferd. Und ebenso beim Menschen: Wenn man jemanden einsperrt, schlägt oder beleidigt, kann er unmöglich dadurch zu einem gerechteren Menschen werden. Vielmehr wird er dadurch ungerecht. Er nimmt auch in seiner Funktion ab, denn die Funktion des Menschen ist die Strebung nach dem Guten und die Vermeidung des Schlechten und Ungerechten. Wozu sollten wir also überhaupt Menschen schaden? Das ist doch komplett konträr zu dem, was wir wollen! Denn wir wollen nicht nur selbst gerecht und gut sein, sondern auch, dass das die Menschen um uns herum sind. Also eine gerechte und gute Gesellschaft. Eine Welt, in der geschadet wird, ist jedoch eine zunehmend ungerechtere und schlechtere Welt.
Doch auch Platon weiß natürlich, dass man so keinen Staat führen kann. Man kann Verbrechen auch nicht ungestraft lassen. Es mag zwar ungerecht sein, jemandem zu schaden, doch wenn man dadurch noch größeren Schaden abwendet, ist das wohl ein notwendiges Übel. Und Platon sieht die Bestrafung von Verbrechern auch nicht als ein Anrichten von Schaden, sondern als Hilfe. Er ist der Meinung, dass niemand jemals ungerecht sein oder handeln will. Ähnlich wie bei Kant. Er geht aber sogar noch weiter und sagt, dass Verbrechen immer nur aus Unwissenheit und Unfähigkeit entstehen. Auch macht es unglücklich, ungerecht zu sein. Denn wie gesagt strebt der Mensch doch nach Gerechtigkeit. Die passende Emotion gegenüber Verbrechern ist kein Hass oder ein Wunsch nach Vergeltung, sondern Bedauern. Denn sie haben ganz offenbar nicht das Wissen und die Fähigkeiten, gerecht zu sein. Stellt euch zum Beispiel einen Dieb vor. Er stiehlt ja nicht, weil es ihm Spaß macht oder weil er denkt, dass ihn das zu einem besonders tollen Menschen macht. Nein, im Gegenteil, er tut es aus der Not heraus, nicht genug Geld zu haben. Vielleicht hat diese Person nicht die richtigen Fähigkeiten oder die Geduld, einen Job zu finden. Vielleicht hat sie auch keine schulische und universitäre oder sonstige Ausbildung. Und nachdem sie gestohlen hat, hat sie ein schlechtes Gewissen, ist nervös, erwischt zu werden und muss es auch bald wieder tun. Und jetzt sagt mir: Beneidet ihr diese Person? Oder nehmen wir uns den Mörder. Wenn man so weit geht, das Leben einer anderen Person ohne Weiteres zu nehmen, muss man doch irgendwelche psychischen Probleme haben! Oder Sonstiges: Ängste, Scham, Depressionen Spätestens nach dem Mord. Ist es da nötig, dieser Person dasselbe Leid dann noch einmal zuzufügen? Denn sie leidet doch ohnehin schon für den Tod mit! Und wenn sie es nicht tut, ist offenbar sowieso etwas falsch, und sie ist wieder zu unwissend, um gerecht zu sein. Wie man es dreht und wendet: Ungerechtigkeit entsteht aus Unwissen und Unfähigkeit. Und genau da kann man mit der Bestrafung ansetzen. Im Grunde ist Platon nicht darauf aus, Menschen zu bekämpfen, sondern die Ungerechtigkeit und das Unwissen. Er sagt in seinem Werk nicht sehr viel zu Richtern, aber vergleicht ihre Position mit der eines Arztes. Nur sind die Patienten hier Verbrecher und die Heilung geschieht durch Strafe. Man muss durchaus Menschen wegsperren, wenn sie etwas so Schlimmes wie einen Mord begangen haben. Aber nicht, um Vergeltung an ihnen zu üben. Sondern, damit man ihnen zeigt, wie sie ihren Weg zur Gerechtigkeit wiederfinden können. Für eine gerechtere Gesellschaft.


Was ist Gerechtigkeit?

Platon hat also einen ganz anderen Gerechtigkeitsbegriff als Kant. Während dieser nämlich sagt, dass Gerechtigkeit nichts damit zu tun hat, was wir wollen, ist für Platon die Gerechtigkeit genau das, was wir wollen: Das Gute. Und daher lohnt es sich nicht, nur aus Prinzip noch mehr Schaden in die Welt zu rufen, denn so sorgen wir für immer mehr Ungerechtigkeit. Natürlich muss man Verbrecher bestrafen, sonst funktioniert die Gesellschaft nicht. Doch man muss immer im Auge haben, dass sie allein dadurch, dass sie eine Straftat begangen haben, zeigen, dass sie eigentlich selbst schon unwissend, unfähig und unglücklich sind. Die Aufgabe des Staates ist es nicht nur, seine Bürger vor solchen Leuten zu schützen, sondern ihnen auch zu helfen, sollten sie jemals zu einer solchen Person werden. Platon sagt dazu nichts, aber es lässt sich sicherlich sagen, dass die Todesstrafe damit für ihn vom Tisch ist. Richter sind für die Philosophen wie Ärzte, die einem kranken Patienten durch eine harte Kur wieder zur Gesundheit verhelfen.


Endstand und Konklusion

Nun, was können wir rückblickend dazu sagen? Im Grunde haben beide Philosophen einen guten Punkt. Kant pocht darauf, dass unsere Gesetze nicht einfach dafür gebraucht werden dürfen, privat Profit zu erzielen. Denn dann verliert man aus den Augen, wieso man eigentlich primär bestraft: Weil jemand eine Straftat begangen hat. Wir sind alle als Menschen gleich und gleich vor dem Gesetz. Letzten Endes wäre jede:r Verurteilte gegen seine Strafe, sei es nun die Todes- oder die Geldstrafe, also ergibt es keinen Sinn, sie deshalb zu mildern. Das Recht ist ein neutraler Wert, der außerhalb jedes Menschen liegt. Muss er auch, weil er sonst durch subjektive Perspektiven verdorben wird. Und ein Staat muss sich zur Pflicht nehmen, jedem Bürger und jeder Bürgerin gerecht und gleich zu sein. Daher muss Schuld, wo immer sie entsteht, ausgeglichen und bezahlt werden.
Doch man darf eben auch nicht vergessen, woher die Gesetze eigentlich kommen und was wir in unserer Gesellschaft eigentlich wollen. Denn durch Vergeltung ist niemandem geholfen. Wenn ein Mörder hingerichtet wird, ist weder er glücklicher noch der Richter glücklicher. Auch nicht die betroffene Familie oder Freunde des Opfers. Zumindest auf Dauer. Denn auch das Opfer bleibt tot. Die Gesetze werden letztlich durch uns gefällt, und zwar weil wir nach einer Gesellschaft mit besseren Menschen streben. Und das ist Gerechtigkeit: Das Gute. Verbrecher sind letzten Endes arme, unglückliche und unwissende Menschen, denen geholfen werden muss. Und das ist im allgemeinen Interesse, weil jeder in einer friedlichen Gesellschaft leben will. Daher treten Platons Richter als Ärzte dieser Menschen auf. Es ist nicht unmoralisch oder verwerflich, durch eine Bestrafung das Gut aller Beteiligten erreichen zu wollen. Denn wenn man mit Kant argumentieren will, würde ja auch durch die Todesstrafe der Wunsch der Person, zu leben, ignoriert werden. Man muss eben Menschen zu etwas zwingen, wenn sie Straftaten begangen haben. Sei es nun aus Vergeltung oder der Prävention.
Auch Platon ist aber nicht einwandfrei. Zum Beispiel verschwimmt hier etwas, wann wir denn dann Menschen bestrafen und wann nicht. Wenn wir sie nur bestrafen, um aus ihnen bessere Menschen zu machen, könnten wir das dann nicht immer tun? Immerhin kann man sich ständig verbessern. Es muss einen Anlass für die Notwendigkeit eines Ausgleiches geben, um legitim starke Maßnahmen ergreifen zu dürfen. Denn es scheint hier ja jede Art des Schadens ungerecht zu sein. Und da sieht man wieder, dass Kants Ansatz besser gegen einen Willkürstaat schützt. Er lässt zu, dass Menschen Fehler machen und sich schaden, weil sie eben sind, wie sie sind. Nur müssen sie eben um die Konsequenzen wissen und wenn diese kommen, ist es ihre eigene Schuld. Außerdem wirkt es nach Platons Modell so, als würde der Staat auch ungerecht sein, weil es die Verbrecher sind. Klar ist das Ziel der Bestrafung, dass die Person als eine bessere in die Gesellschaft zurückkehrt, aber bis dahin muss man ihr irgendwie schaden. Und es ist schon ein unbefriedigender Gedanke, nicht wahr? Denn dann ist der Staat rein theoretisch ebenso ungerecht wie der Verbrecher. Dagegen ist nach Kant die Straftat ein Verbrechen, aber die Strafe gerecht. Und damit ist der Staat gerecht. Deswegen ist es wichtig, beide Positionen im Kopf zu haben. Auf der einen Seite ist eine Strafe immer eine Reaktion und ein Ausgleich eines begangenen Übels. Auf der anderen Seite ist es wahrscheinlich besser, wenn die Person diesen Ausgleich selbst machen kann, indem sie zu einem besseren Menschen wird.

So, das war nun meine Folge zur Bestrafung. Noch einmal vielen Dank an Natalie, die mir sehr interessante Einblicke gegeben hat! Ich denke, es ist immer mal wieder ganz schön, nicht nur mich selbst, sondern auch andere Leute reden zu hören. Ein kleiner Einschub übrigens noch zu den Gründen, wieso wir bestrafen: Natalie hatte ja noch erwähnt, dass man auch bestraft, um die Bevölkerung vor der bestraften Person zu schützen. Und man würde diese Denkart wohl auch eher Platon zuschreiben, weil man nach Kant dann ja wieder den eigenen Vorteil im Kopf hätte. Doch das erschien mir weniger bedeutend als der Faktor der Vergeltung und Resozialisierung. Aber gut, so viel dazu. Ich hoffe wie immer, dass euch die Folge gefallen hat, mir hat die Recherche auf jeden Fall sehr viel Spaß gemacht!

Lasst gern einen Kommentar da, was ihr denkt! Wenn ihr übrigens gerne die Blogbeiträge in Audioform hören, mich erreichen oder mir vielleicht sogar eine kleine Spende dalassen wollt, findet ihr alle Links dazu in meinem Linktree.

Gut, das war es von mir. Macht es gut und einen schönen Tag noch!

 

Quellen

,,Strafrecht Allgemeiner Teil, 8. Auflage" - Rudolf Rengier

,,Münchner Kommentar zum StGB Band 1, 4. Auflage und Band 2, 4. Auflage" - Dr. Volker Erb und Prof. Dr. Jürgen Schäfer

,,Die Metaphysik der Sitten" - Immanuel Kant

,,Der Staat" - Platon

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